© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Es gilt die Unscholzvermutung
Paul Rosen

Wenn in diesen Tagen vom Bundesministerium der Finanzen die Rede ist, folgt schnell der alte Spruch, wonach der Fisch vom Kopf her zu stinken beginnt. Die Liste der Versäumnisse dieses wichtigen Ministeriums und seines Ministers Olaf Scholz, zur Zeit im Hauptberuf Kanzlerkandidat der SPD, ist lang. Erfolge hat Scholz keine vorzuweisen, im Gegenteil: Der Bundeshaushalt ist ruinös, das deutsche Steuerrecht das komplizierteste der Welt, die deutschen Steuern fast die höchsten in der OECD, und Anleger dürften angesichts geballter Inkompetenz der Finanzbehörden Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe erlitten haben.

Daß Scholz bisher so gut weggekommen ist und auch den Untersuchungsausschuß zur Pleite des Wirecard-Konzerns trotz erdrückender Beweise gegen ihn überstanden hat, liegt an der Eigentümlichkeit des parlamentarischen Systems, wonach Abgeordnete der Koalitionsfraktionen sich nicht mehr, wie das Grundgesetz es eigentlich vorsieht, dem eigenen Gewissen verpflichtet fühlen, sondern der Partei- und Koalitionsraison. Konkret heißt das im Fall Scholz, daß im Finanzausschuß des Bundestages, der das Ministerium kontrollieren soll, seit Jahren alle kritischen Themen an den Rand gedrückt werden. So konnte sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), deren oberster Dienstherr Scholz ist, lange unter dem Beifall der Koalition als effektive Verbraucherschutzbehörde darstellen, obwohl sie jeden Finanzskandal in jüngster Zeit verschlafen hatte. Folge: Durch die Wirecard-Pleite verloren Aktionäre und Gläubiger über 20 Milliarden Euro.
Noch größer könnte der Schaden durch das Nichtfunktionieren der Financial Intelligence Unit (FIU – Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen), einer in Köln sitzenden und Scholz unterstellten Behörde sein.

Die FIU soll Verdachtsmeldungen von Banken, Versicherungen und Maklern zu möglicherweise dubiosen Finanzströmen untersuchen. Doch in der FIU herrscht seit Jahren Chaos; nach der Verlagerung der Behörde vom Bundeskriminalamt zum Zoll fehlte massiv Personal. Die technische Ausstattung ist veraltet. Scholz machte nichts und wurde von der Koalitionsmehrheit im Finanzausschuß gedeckt. Oppositionsanträge und -anfragen wurden entweder abgelehnt oder ausweichend beantwortet. Bei der FIU dürfte es nicht nur um den Fall Wirecard gehen, sondern wohl auch um mögliche Spuren zu sogenannten Cum-Ex-Geschäften, mit denen die Staatskasse um Milliarden betrogen wurde. Hier kämpft Scholz ohnehin mit einer Erblast. In seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister geriet der Senat unter Verdacht, gegenüber einer in Cum-Ex-Geschäfte verstrickten Bank zu viel Milde walten gelassen zu haben.

In einem Rechtsstaat kann die Staatsanwaltschaft im Ministerium zur Durchsuchung klingeln – ein bisher einmaliger Vorgang. Ob Scholz Kanzler werden wird, ist ungewiß. Gewiß ist allerdings, daß er sich auch im neuen Bundestag einem Untersuchungsausschuß zur FIU wird stellen müssen.