© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Wahlfühlwochen
Reportage: Unterwegs mit zwei AfD-Bundestagskandidaten
Martina Meckelein / Florian Werner

Er hat den Ruf, ein „Flügel“-Mann zu sein, sie den der Liberalen mit Migrationshintergrund. Der eine kämpft in Mecklenburg-Vorpommern, die andere in Hessen um jede Wählerstimme. Der eine nennt Kochen in der Familie sein Hobby, die andere ist ein Star-Trek-Fan. Zwei, die nicht unterschiedlicher sein könnten – und dabei die Bandbreite der AfD abdecken. Die JUNGE FREIHEIT begleitete die beiden Bundestagsabgeordneten Enrico Komning und Joana Cotar in ihrem Wahlkampf durch die Republik. Eine Gemeinsamkeit haben sie: Beide sind Menschenfischer.

„Schauen Sie, bis zum Horizont sind keine Windräder zu sehen – nur selten gibt es bei uns diesen Ausblick noch zu genießen“, sagt Komning, während er sein Wahlkampfauto über die Landstraße nach Friedland steuert. Links und rechts sonnen sich satte grüne Wiesen im Sommerlicht. Komning ist 53 Jahre alt, verheiratet, Rechtsanwalt mit Dependancen in Hamburg, Berlin, Bonn und Würzburg. Hauptsitz der Kanzlei ist Neubrandenburg. Komning kämpft hier für den Wahlkreis 16 (Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II). Sein Gegner heißt Philipp Amthor, der Mann, der von der Bild-Zeitung mal als „Merkels Bubi“ betitelt wurde. „Wie die CDU hier alles mit Plakaten vollkleistert“, ärgert sich Komning, „ist mir ein Rätsel, die müssen ein Vielfaches meines Wahlkampfbudgets haben.“ Und wirklich: Gefühlt an jeder Ecke und von jeder Straßenlaterne scheint Amthor auf die Bürger zu grinsen. „Mit dem habe ich kein persönliches Problem, ich halte ihn eher für einen Fehler des Systems. Dieser Witz: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal ist leider Realität. Wir brauchen zwingend Abgeordnete, die, bevor sie politische Ämter übernehmen, mindestens fünf Jahre mit beiden Beinen im Berufsleben gestanden haben.“

„Warum habt ihr all die Jahrzehnte nichts getan?“

Markttag in Friedland. Stände aus Polen, zwei Pfund Kartoffeln für einen Euro. Die AfD hat ihr Wahlkampfzelt am Rand des Platzes aufgebaut. Bürgermeister Frank Nieswandt von der Partei Die Linke, er führt seit diesem Jahr die Geschicke der Stadt mit 6.400 Einwohnern, schlendert vorbei und grüßt mit den Worten: „Ist ja nicht viel los“, und meint die wenigen Bürger, die am Stand stehen. „Das wird noch“, ist Komning zuversichtlich. Er steht da in schwarzer Jeans und hochgekrempelten Hemdsärmeln, ruft Passanten zu: „Kommen Sie ruhig ran, wie können wir helfen?“ Und die Leute werden neugierig. „Was will denn die AfD im nächsten Bundestag machen?“ fragt ein Bürger. Um dann gleich loszulegen: „Der Öffentliche Personennahverkehr muß verbessert werden, und die Abwanderung muß gestoppt werden und die Flüchtlinge sollen wieder nach Hause, die werden dort zum Wiederaufbau gebraucht.“

„Die Leute sind sauer“, erklärt Komning. „Wir haben hier ein Wählerpotential von 25 bis 30 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt. Hier gab es zu DDR-Zeiten modernste Stärkefabriken – alles nach der Wende abgebaut, die jungen Leute sind abgewandert, Geschäfte schließen.“ Komning ist ein Kind der DDR, er leistete 1988 seinen Wehrdienst beim Wachregiment „Feliks Dzierżyński“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin. Und dann zur AfD? „In der DDR machte ich eine Maurerlehre mit Abitur. Ich wollte studieren. Das MfS suchte noch während der Schulzeit leistungsstarke Schüler aus, mich eben auch. So kam ich zum Regiment. Subtil wurde mir gesagt, daß, hätte ich nein gesagt, nicht einmal mein zugesagtes Studium als Berufsschullehrer für Bauwesen hätte absolvieren dürfen. Insgesamt hatte ich dort acht Wochen Grundausbildung, danach war ich Baupionier auf dem Kasernengelände und Heizer im Kasernenheizhaus.“ Seinen Traum vom Jurastudium konnte er sich dann doch erfüllen. Und vielleicht geht auch noch ein Wunsch in Erfüllung: das Direktmandat zu gewinnen. Dem Internetportal Mandatsrechner.de zufolge steht er aktuell auf Platz 1.
Weiter geht es in Richtung Stettiner Haff. „Wir sind landwirtschaftlich geprägt, aber hier herrscht die großgliedrige Agrarindustrie, oft aus den Niederlanden“, referiert Komning. „Doch wir produzieren nur wenig Lebensmittel, sondern Mais für Biogasanlagen.“ In Eggesin lädt die AfD zu Würstchen und Bier ein. Früher arbeiteten die Menschen im Elektromotorenwerk oder am NVA-Standort. Heute gibt es hier ein Sterbehospiz mit dem Namen „Vergißmeinnicht“. „Wer noch Arbeit hat, der pendelt nach Hamburg, viele brauchen zwei Autos, denn der letzte Bus fährt um 18 Uhr“, sagt Susanne Holze. Die 34jährige Tischlerin ist arbeitslos. „Ich trau mich einfach nicht hier weg.“ Diese Resignation will Komning aufbrechen: „Seit 30 Jahren ist hier nichts besser geworden, die Altparteien haben nichts Wirkungsvolles gemacht. Nur zu Wahlkampfzeiten verteilen die Regierenden Förderbescheide und sagen, der ländliche Raum müsse gestärkt werden. Sie sagen immer: wir müssen, wir sollten, wir werden … Ich frage mich immer: Warum habt ihr das über all die Jahrzehnte nicht getan? Wir brauchen innovative Industrie, wir brauchen Joint-Venture-Modelle zwischen Mittelstand und unseren zwei Universitäten – und Infrastruktur.“

Szenenwechsel: Berlin, Wittenbergplatz vor dem berühmten KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens: Touristen flanieren an den Schaufenstern vorbei, Mütter schieben Kinderwagen. Im Gewühl bauen Hermann-Josef Merting und Thomas Marten den AfD-Wahlkampfstand auf. Merting schaut skeptisch: „Wir haben in Berlin über tausend Mitglieder, doch zu wenige sind aktiv. Manche kommen nur für einen der begehrten Schnappschüsse mit Parteipromis vorbei.“
Einer der Promis ist Joana Cotar, Beisitzerin im AfD-Bundesvorstand und Direktkandidatin für den Wahlkreis „Frankfurt II“. Gemeinsam mit dem ehemaligen Bundeswehrgeneral Joachim Wundrak nahm sie im Vorfeld der Bundestagswahl am Spitzenkandidatenrennen ihrer Partei teil, unterlag am Ende aber dem Team von Alice Weidel und Tino Chrupalla. Seit Ende Juni ist Cotar auf Wahlkampftour. „Von der Nordsee bis an die österreichische Grenze“, sagt die 48jährige. „Momentan haben wir im Bundestag Sitzungswoche, deshalb bin ich in Berlin und helfe natürlich am Stand.“ Cotar stammt aus Pitesti in Rumänien. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Rumäne. 1978 fliehen sie mit den Kindern nach Deutschland. Cotar macht Abitur, studiert Politik an der Uni Mannheim, tritt in der Zeit in die CDU ein, heiratet, zieht in die Schweiz und arbeitet als Projektmanagerin. Seit 2013 ist sie AfD-Mitglied, seit 2017 im Bundestag. Ihr Lächeln verrutscht beim Verteilen der Flyer nicht eine Sekunde lang. Geduldig geht sie die Straße auf und ab. „Ich bin gespannt“, sagt Cotar, „wie die Union mit Maaßen umgeht, wenn der das Direktmandat in Thüringen gewinnt.“

Bei jedem Punkt klatscht das Publikum

Am nächsten Abend unterstützt sie den Autor Michael Klonovsky, der als parteiloser Kandidat für die AfD in Chemnitz zur Bundestagswahl antritt. Gemeinsam mit Parteichef Jörg Meuthen tritt sie im Ballsaal Hilbersdorf auf. Sie mag die beiden Männer. Zur Begrüßung wird geherzt. Cotar tritt als erste in den Ring vor den über hundert Zuhörern. 33 Minuten spricht sie, alle ihre Reden schreibt sie selbst. Sie erzählt vom „Freiheitskampf“, den einzig die AfD aufgenommen habe. Von einer „Vollkatastrophe namens Maas“. Von Deutschland, das unter Merkel „ein einziges Irrenhaus“ ist, in dem die „Unfähigen Karriere machen“. Sie beschreibt ihre Arbeit im Bundestag, ihren Antrag aus dem März, die Katastrophenhilfe neu aufzustellen, der abgelehnt wurde, einzig weil er von der AfD stammte. Sie fordert „echten Umweltschutz statt Klimawahn“. Und ruft: „Kämpfen wir! Gemeinsam! Um Deutschland, für Deutschland – aber normal.“ Bei jedem Punkt klatscht das Publikum.