© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Du hast die Wahl für die, die keine haben
Bundestagsparteien zum Lebensschutz der ungeborenen Kinder: Die linken Kräfte marschieren Seit’ an Seit’, die FDP will Werbung zulassen, die C-Parteien schweigen dazu, nur die AfD bekennt sich klar
Christian Rudolf / Eric Steinberg

Die vergangene Legislaturperiode war gesetzgeberisch eine schlechte für die noch ungeborenen Kinder. FDP und linke Parteien im Bundestag schossen sich auf das in Paragraph 219 a Strafgesetzbuch geregelte Werbeverbot für Abtreibungen ein. Im Februar 2019 beschloß das Parlament den als Kompromiß gedachten Gesetzentwurf der unionsgeführten Großen Koalition, der Informationen über Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, leicht zugänglich macht. Die Bundesärztekammer führt seither eine stets aktualisierte Liste, in der sich Abtreiber eintragen lassen können.

Trotz kontroverser Diskussion erhielten im August die nicht-invasiven pränatalen Bluttests eine Kassenzulassung. Lebensrechtsverbände kritisieren, die Tests dienten nicht therapeutischen Zwecken, sondern ausschließlich dem Aufspüren von ungeborenen Kindern mit Down-Syndrom.

An um die 100.000 Abtreibungen jedes Jahr in Deutschland können wir uns nicht gewöhnen. Darum haben wir die Wahlprogramme der Bundestagsparteien speziell darauf hin durchgesehen, wie sie es mit dem grundgesetzlich aufgetragenen Schutz des ungeborenen Lebens halten. Eines ist klar: Käme es nach der Wahl zu einem Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken, gäbe es eine satte Mehrheit zur vollständigen Legalisierung von Abtreibungen.



SPD: Respekt nur, wenn du geboren bist.
Für die Sozialdemokraten gehen Abtreibungen mit dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen einher. Die Konsequenz daraus ist für die SPD, das Verbot von Werbung für Abtreibungen (Paragraph 219a StGB) aufzuheben. „Zudem stellen wir in Hinblick auf die Paragraphen 218 ff. fest: Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht“, so das Wahlprogramm. Frauen und Paare, die sich in einer Konfliktsituation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, bräuchten „Zugang zu Informationen“ und zu einer „wohnortnahen, guten medizinischen Versorgung“, heißt es weiter. Krankenhäuser, die öffentliche Gelder beziehen, sollen die Tötung der Leibesfrucht als Grundversorgung anbieten. Das Wahlprogramm trägt den Namen „Aus Respekt vor deiner Zukunft“, in Kapitel 3 bekundet die SPD, „für eine Gesellschaft des Respekts“ zu stehen und schreibt schöne Sätze wie „für gleiche Teilhabe und gleiche Lebenschancen für alle“ – die Kinder im Mutterschoß genießen in der SPD-Welt weder Respekt noch gleiche Lebenschancen.
 www.spd.de/zukunftsprogramm



Die Linke: Weder sozial noch friedlich.
Auch die Linken sehen Schwangerschaftsabbrüche als Teil der „Gesundheitsversorgung“ an und nennen die Aufhebung des gesetzlichen Schutzes für ungeborene Kinder „reproduktive Gerechtigkeit“. Die Partei ist sich mit anderen ebenso einig über die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen. Laufende Verfahren nach Paragraph 219a will die Linke sofort einstellen lassen. Die Partei, die im Wahlprogramm (Seite 8f.) den Sozialismus allen Ernstes als „neues Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell“ anpreist, geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zusätzlich sollen auch 218 und 219b gestrichen werden. Letzterer regelt, daß keine Mittel oder Gegenstände, die dem Schwangerschaftsabbruch dienen, in den Verkehr gebracht werden dürfen. „Frauen, Trans* und nicht binäre Menschen“ sollen einen „legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbruch“ bekommen. Die Linke fordert außerdem, daß die Durchführung der Abbrüche in den öffentlichen Krankenhäusern gesichert wird. Passend dazu solle die fachliche Ausbildung ein Teil des Medizinstudiums werden.
 www.die-linke.de/wahlen/wahlprogramm-2021



CDU/CSU: Schweigeexerzitien.
Das gemeinsame Wahlprogramm der CDU und CSU übergeht in zehn Kapiteln und zahllosen Unterkapiteln auf 138 Seiten den Schutz des ungeborenen Lebens komplett. Ein Abschnitt, „Schöpfung bewahren“, behandelt in sieben Absätzen Bodenversiegelung, Biodiversitätsstrategie und ein „Klimaanpassungsgesetz“. Das hätte auch von den Grünen sein können. Doch weder die konstant katastrophal hohe Zahl an Abtreibungen nach Paragraph 218 StGB noch die Problematik vorgeburtlicher Bluttests zur Fahndung nach chromosomalen Abweichungen beim Embryo, die nach Erfahrungen in anderen Staaten vermehrt zur Tötung ungeborener Kinder mit Trisomie 21 führen, finden irgendeinen Niederschlag im Programm „für Stabilität und Erneuerung“. Auch das am Montag veröffentlichte Kurzprogramm zur Wahl mit sechs Sofortmaßnahmen schweigt im Abschnitt zur Familie über geeignete Instrumente zum Schutz des Lebens am Beginn und verliert kein Wort über Schwangere in Not. Damit läßt die Union als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien potentielle Wähler im unklaren über ihre Absichten. Einen Programmparteitag hatte die Union vor dieser Wahl nicht zustande bekommen und ihr Programm auch als letzte vorgestellt. Für die Christdemokraten für das Leben (CDL) gaben jüngst 17 Abgeordnete der CDU/CSU Bekenntnisse zum Lebensschutz und für den Erhalt des Werbeverbots für Abtreibungen ab. Alle jene stimmten im Februar 2019 für den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktion für die straflose Verbreitung von Informationen, in welchen Praxen und Kliniken Abtreibungen vorgenommen werden. Ausnahme: CDL-Bundesvorstandsmitglied Veronika Bellmann.
 www.ein-guter-plan-fuer-deutschland.de



AfD: Willkommenskultur vermitteln.
Im Wahlprogramm „Deutschland. Aber normal“ schreibt die größte Oppositionspartei im Bundestag unter der Überschrift „Willkommenskultur für Kinder“ in schöner Deutlichkeit: „Ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben.“ Als einzige der großen Bewerber bezieht sie Position für den Lebensschutz und malt auf ganzen eineinhalb Seiten ein großes Ziel an die Wand: „Die Gesellschaft muß in Familie, Schulen und Medien den Respekt vor dem Leben und ein positives Bild von Ehe und Elternschaft vermitteln.“ Unter Verweis auf die jährlich um die 100.000 Abtreibungen legt sie den Finger in die Wunde: „Die verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung ist in vielen Fällen zu einem formalen Verwaltungsakt verkümmert und befördert eine Bagatellisierung von Abtreibungen.“ Die Beratung müsse statt dessen dem Schutz des Lebens dienen – „wie vom Bundesverfassungsgericht zur Bedingung gestellt“. Sie bekennt sich damit zur Kompromißregelung von 1995 und will kein Verbot erreichen, denn das Programm schränkt ein: „Die Entscheidung über eine Abtreibung muß natürlich bei der Mutter bzw. bei den Eltern liegen.“ Lebensrettende Notlösungen wie Adoption, anonyme Geburt oder Babyklappe will die AfD ermöglichen und stärken. Alle auf nationaler, EU- und international vorhandene Bestrebungen, „die Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht zu erklären“, lehnt die AfD kategorisch ab.
 www.afd.de/wahlprogramm



FDP: Reklame fürs Abtreiben machen.
Bereits die Überschrift des Kapitels, in dem es um Straftaten nach Paragraph 218f. geht, ist eine Aussage: „Für ein modernes Reproduktions- und Abtreibungsrecht“. Zwischen Forderungen nach einem „Adoptionsrecht für alle“, Förderungen von Kinderwunschbehandlungen und Mehrelternschaftsvereinbarungen sowie der Entlastung von Hebammen haben die Liberalen die „ersatzlose“ Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen gesteckt. Es sei „abwegig“, daß „sachliche“ Informationen über einen „legalen ärztlichen Eingriff strafbares Unrecht“ sein sollten. Da schreibt die selbsternannte Rechtsstaatspartei FDP die Unwahrheit und zeigt, unter welcher Flagge sie segelt, denn Abtreibung ist mitnichten legal, es wird nur regelmäßig von Strafe abgesehen, wenn sie unter definierten Bedingungen vorgenommen wird. Beratungen für Schwangere im Konflikt sollen auch online stattfinden können und „objektiv“ sein.
 www.fdp.de/nie-gab-es-mehr-zu-tun



Bündnis 90/Die Grünen: Abtreibung mit Kostenübernahme.
Die Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 gehört von Beginn an zur DNS der Partei. Die Grünen stellen in ihrem Wahlprogramm die Selbstbestimmung über den eigenen Körper in den Vordergrund, zu der die Partei auch Schwangerschaftsabbrüche zählt. Um die „Versorgung“ mit Abtreibungsstätten dauerhaft zu sichern, brauche es eine „Entstigmatisierung“ und „Entkriminalisierung“ von „selbstbestimmten Abbrüchen“ sowie eine generelle Kostenübernahme. „Das ist nur möglich, wenn der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch nicht mehr im Strafgesetzbuch (§ 218 und § 219), sondern außerhalb geregelt wird.“ Damit wären dann Abtreibungen in jeder Phase der Schwangerschaft einschließlich Spätabtreibungen bis unmittelbar vor der Geburt strafl os möglich und würden Usus werden. Das Programm fordert die Streichung von Paragraph 219a (Werbeverbot) aus dem Strafgesetzbuch – „schnellstmöglich“. Auch die Informationslage zum Abbruch solle ausgedehnt, jedoch die Information durch sogenannte  Gehsteigberatung verboten werden. In den Forderungen verankert hat die Partei außerdem eine Integration von Abtreibungen in die ärztliche Ausbildung. Das Wording für die vorgeburtliche Kindstötung lautet „Gesundheitsversorgung“.
www.gruene.de/artikel/wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2021