© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Abschreckend
Dänemark: Asylbewerber sollen plötzlich arbeiten und eine Ex-Ministerin steht vor Gericht
Paul Leonhard

Dänemark setzt angesichts der nach Europa drängenden Migranten auf Abschreckung. Einem Parlamentsbeschluß, der Asylzentren in anderen Ländern möglich machen sollte, dessen Umsetzung bisher aber an fehlenden Abkommen mit afrikanischen Ländern scheiterte, folgte ein Asylpakt, der Antragstellern lediglich eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis gewährt und Anträge auf Familienzusammenführung nicht mehr nach einem, sondern erst nach drei Jahren für zulässig erklärt. Daß Flüchtlinge in Dänemark nicht willkommen sind, hat sich herumgesprochen. Wurden 2016 knapp 30.000 Anträge auf Asyl gestellt, waren es 2019 rund 2.700 und bis Ende September 2020 lediglich 500.
Jetzt legte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit einer Arbeitspflicht für Migranten nach. Diese soll 37 Wochenstunden umfassen. Zielgruppe dieser Maßnahmen: Asylbewerber aus dem Mittleren Osten, Nordafrika, Afghanistan und Pakistan, die entweder neu nach Dänemark kommen oder innerhalb der vergangenen vier Jahre drei Jahre vom Geld der Steuerzahler gelebt haben. „Wir wollen eine neue Arbeitslogik einführen, bei der die Menschen die Pflicht haben, einen Beitrag zu leisten und sich nützlich zu machen, sagte Frederiksen unter Verweis auf die boomende dänische Wirtschaft. Wer keine reguläre Arbeit finde, müsse für die staatlichen Unterstützungsleistungen arbeiten.
Trennung asylsuchender Paare landet vor dem Gericht

„Das kann ein Job am Strand sein, bei dem man Zigarettenkippen oder Plastik aufsammelt“, konkretisierte Arbeitsminister Peter Hummelgaard. Sein Ministerium geht von rund 16.300 betroffenen Migranten aus. Das Ganze sei nicht mehr als „ganz dicke Symbolpolitik“, kritisiert Andreas Steenberg, finanzpolitischer Sprecher der rechtsliberalen Partei Venstre. Diese steht aktuell im Blickpunkt der Öffentlichkeit, weil sich die 48ährige frühere Venstre-Politikerin Inger Støjberg seit Anfang September vor einem Sondergericht verantworten muß. Der früheren Immigrationsministerin im Kabinett von Lars Lokke Rasmussen wird vorgeworfen, 2016 zu hart gegen Asylantenpaare vorgegangen zu sein: Konkret geht es um die Trennung von asylsuchenden Paaren, wenn die Frauen nach dänischem Recht als minderjährig galten. „Es ist völlig inakzeptabel, daß Kinderbräute mit ihren Ehepartnern in dänischen Asylzentren untergebracht werden, das muß sofort gestoppt werden“, schrieb die Ministerin damals auf ihrem Facebook-Account.

23 Paare waren betroffen, ein syrisches Paar klagte gegen die Zwangstrennung und bekam Schadensersatz zugesprochen. Kritisiert wurde, daß auf gemeinsame Kinder oder Schwangerschaften keine Rücksicht genommen und die Fälle nicht individuell bewertet wurden.

Auftritt von Ayaan Hirsi Ali war nicht erwünscht

Daß sich die nun parteilose Parlamentsabgeordnete Støjberg wegen angeblich vorsätzlich rechtswidrigen Handelns im Ministeramt sowie Verstößen gegen internationales Recht, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die UN-Kinderrechtskonvention vor dem Reichsgericht verantworten muß, hatte das Parlament Anfang Januar beschlossen.
Inger Stojberg verteidigt vehement ihre damaligen Entscheidungen: Es sei darum gegangen, Minderjährigen „eine Auszeit von einer Ehe zu geben, die sie vielleicht nicht selbst gewählt hätten“. Als Zeugin für die Ex-Ministerin soll die somalisch-niederländische Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali auftreten, um dem Gericht die „islamischen Mechanismen der Unterdrückung von Frauen“ zu erläutern. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist das allerdings „irrelevant“.

Der Autor des Buches „Der Prozeß gegen Inger Støjberg – Gerechtigkeit oder politische Hexenjagd“, Peter la Cour, glaubt auch nach den ersten Verhandlungstagen an die Unschuld der Ex-Ministerin, hält das Reichsgericht aber für politisch, da es neben den 13 Richtern des Obersten Gerichtshofes auch aus 13 von den Parlamentsparteien ernannten Laienrichtern besteht. Man habe es mit einer „seltsamen Mischung aus Politik und Recht zu tun“, einem Anachronismus aus der Entstehungszeit des Parlamentes, der kein faires Verfahren garantiert, weil das Parlament sowohl als Ankläger als auch als Richter fungiere.

Der Staatsanwaltschaft wirft er vor, sich eine Anklage konstruiert zu haben und einen Ministervermerk überzubewerten. Ein Urteil soll vor Weihnachten fallen.