© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Immer enger und teurer
Immobilien: Der Bevölkerungszuwachs macht den Wohnungsmarkt zum Spekulanten-Eldorado
Horst Gabers

Tausende haben am Samstag in Berlin erneut „gegen hohe Mieten und Verdrängung“ demonstriert. Dazu aufgerufen hatten unter anderem Gewerkschaften, Mietervereine, Studenten und die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Im April hatte das Bundesverfassungsgericht den „Mietendeckel“ des rot-rot-grünen Berliner Senats gekippt, da dieser gegen Bundesrecht verstößt. Daher hat der am 26. September stattfindende „Volksentscheid über einen Beschluß zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“ gute Chancen, eine Mehrheit zu finden. „Mit der Vergesellschaftung wollen wir zwölf Prozent der Berliner Mietwohnungen der Spekulation entziehen und dauerhaft bezahlbare Mieten ermöglichen“, argumentiert die Initiative.

Da die Entschädigungskosten für die etwa 243.000 zu „vergesellschaftenden“ Wohnungen der großen Immobilienfirmen vom Senat auf 28,8 bis 36 Milliarden Euro geschätzt werden, dürfte der Volksentscheid kaum umgesetzt werden, die Idee nur unter Linken und einigen Grünen anklang findet. Doch steigende Mieten und Immobilienpreise sind nicht nur in Berlin und München ein Problem. „Eine Faustregel lautet: die Kaltmiete einer Wohnung sollte nicht höher als 30 Prozent des Nettoeinkommens des Mieters sein, ansonsten droht die Gefahr, daß nicht genügend Geld zur sonstigen Lebensführung übrigbleibt“, beginnt die Immoscout24-Studie, bei der eine Million Benutzerdaten im ersten Halbjahr 2020 ausgewertet wurden.

Doch Mieter in 223 von 331 betrachteten deutschen Städten und Landkreisen kommen nicht umhin, mehr als ein Drittel des Einkommens für die Kaltmiete auszugeben. Rechnet man noch die Nebenkosten dazu, liegt die Warmmiete in den Ballungszentren schnell über 40 Prozent. Eine aktuelle Studie der Humboldt-Universität Berlin kommt sogar zu dem Ergebnis, daß in deutschen Großstädten etwa 2,1 Millionen Menschen nach Abzug der Miete nicht mal mehr das Existenzminimum zum Leben verbleibt (JF 34/21). Doch noch schlimmer sind Wohnungssucher dran. In Berlin kamen laut Innofact-Marktforschung im Durchschnitt 137 Interessenten auf eine angebotene Bestandswohnung. In Köln waren es 63 Mitbewerber, gefolgt von Leverkusen (57), Freiburg (55) und Hamburg (53).

Doch anders als die „Mietenaktivisten“ behaupten, sind nicht nur Spekulanten und die Privatisierungswelle öffentlicher Immobilien seit den 1990er Jahren für die Verknappung verantwortlich, sondern auch der Drang in die Großstädte und der Bevölkerungszuwachs: Die Einwohnerzahl Deutschlands stieg innerhalb von nur zehn Jahren von 80 auf heute über 83 Millionen – trotz der niedrigen Geburtenziffer von 1,5 Kindern pro Frau. Mit den jährlich zwischen 15.000 und 30.000 Fachkräften und ihren Familienangehörigen, die via „Blaue Karte EU“ aus Drittstaaten nach Deutschland kommen, läßt sich der Zuwachs nicht erklären.

Unaufhaltsam steigende Zuwanderung nach Deutschland

Mit einem jährlichen Mindestbruttogehalt von 44.304 Euro verdrängen die EU-Zuzügler auch kaum Arbeiterfamilien aus günstigem Wohnraum – die Ursache liegt woanders: „Stuttgart macht bei der Vergabe von Sozialwohnungen einen Unterschied zwischen Flüchtlingen und anderen. Während die einen sofort auf die Warteliste kommen, müssen die anderen drei Jahre in Stuttgart gemeldet sein“, klagten die Stuttgarter Nachrichten schon Anfang 2018.

Im bürgerlichen Düsseldorf-Derendorf zahlten  langjährige Mieter eines Mehrfamilienhauses etwa 600 Euro. Doch plötzlich machte der Vermieter Druck: Bis auf einen Mieter, der mit Ausdauer und Rechtsbeistand allen Attacken standhielt, gab die Mehrheit nach und nach auf und zog aus. Warum? Die Stadtverwaltung hatte 1.000 Euro Miete geboten. Nun sind auf den Klingelschildern neben zwei deutschen Namen nur arabische und afghanische Namen zu lesen. In der NRW-Landeshauptstadt ist die Einwohnerzahl zwischen 2014 und 2018 von 619.651 auf 642.300 gestiegen. Der Bevölkerunganteil mit Migrationshintergrund stieg dabei laut Demographie-Monitoring von 38 auf 41,6 Prozent.

Zwischen 6.300 und 6.700 Euro pro Quadratmeter wurden für Eigentumswohnungen in einer Wohnanlage in Unterbilk gefordert, einem „normalen“ Stadtteil von Düsseldorf – also etwa eine halbe Million Euro für eine 75-Quadratmeter-Wohnung. Ende 2020 waren die Wohnungen verkauft, bevor auch nur ein einzelner Stein verbaut war, die Käufer hatten ausschließlich den Videoanimationen vertraut. Die Mieten in Düsseldorf beginnen bei Neuverträgen mit 13 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. München ist trotz hoher Mieten und Immobilienpreise noch schneller gewachsen: von 1,49 auf 1,54 Millionen Einwohner – eine Zahl an Menschen so groß wie der Einwohnerzahl der Stadt Passau oder Schweinfurt kam innerhalb von nur vier Jahren hinzu. Eine Eigentumswohnung in München ist kaum unter 9.000 Euro pro Quadratmeter zu haben. Die Kaltmieten bewegen sich bei Neuverträgen zwischen 16 und 28 Euro.

Berlin wuchs zwischen 2011 und 2020 offiziell von 3,29 auf 3,66 Millionen – also um eine Stadt mit der Einwohnerzahl von Bochum. Dennoch behaupten Politiker und Kirchen weiterhin: „Wir haben Platz!“ Das erklärt, warum man eine vor zehn Jahren für 68.000 Euro gekaufte kleine Wohnung in Berlin-Charlottenburg heute für 240.000 Euro weiterverkaufen kann. Ein Bauprojekt für 225 Wohnungen in Berlin-Schöneberg wirbt mit Quadratmeterpreisen zwischen 7.000 und 12.000 Euro um Investoren aus Asien.


Ein bezahlbares Wohnungsangebot gibt es inzwischen in immer weniger Regionen Deutschlands. Etwa in Kleinstädten von Sachsen-Anhalt wie Zeitz (27.000 Einwohner), wo für attraktive sanierte Wohnungen eine Kaltmiete zwischen vier und sechs Euro pro Quadratmeter verlangt wird – hier gibt es aber leider kaum attraktive Arbeitsplätze. Und nicht zu vergessen: Deutschland zählt mit einer Bevölkerungsdichte von 233 Einwohnern pro Quadratkilometer schon jetzt zu den dichtbesiedeltsten EU-Ländern – in Dänemark sind es 134, in Polen 121, in Frankreich 106 und in Schweden nur 24.

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