© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

„Eine Wirtschaftsform des Gebens
Hayek-Tage: Die Ehrenrettung des Kapitalismus durch Martin Rhonheimer und ein Verfassungsentwurf zur Politiker-Haftung
Christian Dorn

Der angebliche Klimanotstand scheint kein Gebot mehr zu kennen, wie die Entwicklungen seit dem entsprechenden Verfassungsgerichtsurteil (JF 19/21) zeigen. Um so wichtiger erscheinen die Stimmen, die dem totalitären Konzept des Ökosozialismus widersprechen. Auf gewohnt luzide Weise leisteten dies die Hayek-Tage 2021, die voriges Wochenende in Würzburg stattfanden. So warnte zur Eröffnung Stefan Kooths (Institut für Weltwirtschaft Kiel), seit 2019 Vorsitzender der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, vor der vermeintlich „harmlosen“ Sprache, die eine unheilvolle Entwicklung in Gang setze.

So impliziere die infantile „Fridays for Future“-Forderung „Hört auf die Wissenschaft!“ eine Diskursverhinderung und damit ein Ende der Debatte. Doch „die“ Wissenschaft gebe es nicht. Ebensowenig seien die Einwände gegen die unbeschränkte monetäre Staatsfinanzierung „anti-europäisch“ – eine Vokabel, die die Eurokritiker diskreditieren soll. Den Liberalen gehe es hierbei nicht ums „Nationale“, sondern um das „Dezentrale“. Da die Meinungsfreiheit dem Interventionismus echte Widerstände bereite, müsse sie automatisch eingeschränkt werden – siehe die grassierende „Cancel Culture“-Praxis.
Daß es „keine risikofreie Impfung gegen den Sozialismus“ gibt, offenbarte auch die Wiederkehr entsprechender Utopien 30 Jahre nach dem Untergang des Ostblocks. Ein Gegenbeispiel sei Ungarn, von dem Gerhard Papke (FDP), Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, berichtete. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang unter den Sozialisten (MSZP; 2002 bis 2010) sei unter der Fidesz-Regierung von Viktor Orbán ein marktwirtschaftlicher Neuanfang gelungen – mit einer Flat-Tax von 15 Prozent und einer niedrigen Körperschaftssteuer. Zählte Ungarn, ein Land mit 9,7 Millionen Einwohnern, 2010 nur 1,8 Millionen Steuerzahler, so seien es heute 4,5 Millionen. Gleichwohl, so gab Papke zu bedenken, habe heute „das sozialistische Denken zahlreiche Mutanten entwickelt“, die sich selbst der Wirtschaftsnobelpreisträger Hayek wohl kaum hätte vorstellen können. Hier sekundierte Kristian Niemietz vom Londoner Institute of Economic Affairs. Der Ökonom hat selbst gerade ein Buch über das Revival der marxistischen Heilslehren („Sozialismus. Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt“, JF 14/21) veröffentlicht. So antwortete die übergroße Mehrzahl der von ihm in einer Studie Befragten, welche Assoziationen sie mit dem Begriff „Sozialismus“ verbinden, mit „Fairneß, Gerechtigkeit und sozialer Wohlfahrt“.
Dieses Verhängnis zeige sich, so Kooths, auch daran, daß nahezu „alles, was heute nicht funktioniert, dem Markt zugeschrieben wird, statt dem Interventionismus“. Diesbezüglich beklagte der VWL-Professor Joachim Starbatty die stark gesunkene Qualität der politischen Klasse, weil diese die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht mehr verstehe. Stattdessen erscheine der „Sozialismus“, so Bestseller-Autor und Risiko-Analyst Markus Krall, als vereinfachte Antwort auf das tatsächlich hochkomplexe System des Marktes.

„Das Kapital der Aufklärung im Westen ist weitgehend aufgezehrt“

Um so mehr versprach der Vortrag des diesjährigen Preisträgers der Hayek-Medaille, Martin Rhonheimer, unter dem Titel „Kapitalismus – eine Wirtschaftsform des Gebens“. Der Professor für Ethik und politische Philosophie an der Päpstlichen Universität Santa Croce (PUSC) und – so die Selbstauskunft – „Spätgeborene für die österreichische Schule“ stellte sich hier gegen den Tenor von Papst Franziskus, der unlängst behauptete, daß die kapitalistische Wirtschaft töte.
Dabei ergänzte der katholische Priester das auf den schottischen Aufklärer Adam Smith (1723–1790) zurückgehende Modell der „unsichtbaren Hand“ des Marktes um die „sichtbare Hand“ des Unternehmers, da der Kapitalismus nicht mit dem Tausch beginne, sondern mit dem „wertschöpfenden Geben“: mit der Hingabe des kapitalistischen Unternehmers und Erfinders, der zunächst mit seiner mannigfachen Investition (an Kapital, Geist, Materialeinsatz, Zeit und Wagnis) in Vorleistung gehe. Und der allein es daher sei, der die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung in die Welt bringe. Die Mehrwert-Theorie von Karl Marx (Theorem der Ausbeutung) könne falscher nicht sein, da sie verkenne, daß der Wert der Güter nicht nur der Leistung des Arbeiters entspreche. Zudem zeige sich, etwa aktuell in der US-Landwirtschaft, daß sich das Wachstum weitgehend vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt hat.

Ausgehebelt dagegen erscheint der deutsche Föderalismus angesichts des „Bundes-Lockdowns“, gegen den der Jurist und Publizist Carlos A. Gebauer zusammen mit dem Staatsrechtler Dietrich Murswiek (Uni Freiburg) in diesem Frühjahr eine Verfassungsbeschwerde eingereicht hat. Gebauer forderte – unter Verweis auf sein neues Buch „Grundgesetz 2030: Modernisierungsvorschläge für eine Erhaltungssanierung“ (Lau Verlag 2021) – eine persönliche Haftung für Politiker, analog zum Beamtenrecht im BGB, Paragraph 839 (Haftung bei Amtspflichtverletzung).

Der Ökonom Thorsten Polleit fürchtet derweil eine „Chinaisierung des Westens“ in Form einer Befehls- und Lenkungswirtschaft und eines Überwachungsstaates. Doch leider sei das „Kapital der Aufklärung im Westen weitgehend aufgezehrt“, so der Präsident des Ludwig-von-Mises-Instituts im abschließenden Symposium über den „Neuen Wettbewerb der Systeme (USA, China, EU)“.



Die aufgezeichneten Vorträge der Hayek-Tage: www.youtube.com