© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Ethiker in der Nähe von Tante Hannelores Kummerkasten
Kollaps einer Bildungsinstitution

Der Nähe wohnt immer auch etwas Utopisches inne, ein Moment von Hoffnung, daß Nähe sich zwischen Menschen ereignen kann – daß nicht der Ferne, der Gleichgültigkeit, der Respektlosigkeit oder der Feindschaft das letzte Wort bleibt, sondern der Annäherung.“ In diesem Sinne lasse sich Nähe als zwischenmenschliches Grundverhältnis verstehen und weise auf „eine Vision gelungenen Menschseins hin: Menschen sollen einander nahekommen und nahe sein“. Was sich hier liest wie eine famos mißglückte Heidegger-Persiflage, ist kein Zitat aus Tante Hannelores Kummerkasten in Bild der Frau. So wirbt vielmehr Holger Zaborowski, Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt, in Zeiten des „Abstand“-Regimes für eine neue „Kultur der Nähe“ (Hohe Luft, 3/2021). An welchen sozioökonomischen Stellschrauben – das Sein bestimmt doch wohl nach wie vor wesentlich das Bewußtsein – zu drehen wäre, damit diese „Kultur“ gedeihen könnte, darauf geht Zaborowski nicht näher ein. Nur soviel, daß es dafür „mußevolle Zeit“ braucht. Nur leider ist der moderne Mensch eingesperrt im „stählernen Gehäuse“ (Max Weber) realexistierender Entfremdung, so ihm die „funktionale verstandene Zeit Abläufe und Prozesse“ diktiere, an die er sich per „Selbstoptimierung“ anpassen müsse. Für das „Beieinandersein, sich Zeit schenken und die abgründige Logik der Nächstenliebe“ sei daher partout keine Zeit. Aber er dürfe darauf hoffen, „wider alle Hoffnung“. Solches Geschwurbel ist jetzt Standard unter „Ethikern“ der Universitätsphilosophie und zeugt vom „Kollaps einer Bildungsinstitution“ (Rudolf Brandner, 2015). (dg)

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