© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Corona-Politik: Sprachliche Einübung ins Normale der Ausnahme
Absolutismus der Gesundheit

Das zur Eindämmung der andauernden Corona-Pandemie installierte „Hygieneregime“ ist für den Kulturkritiker Michael Esders primär ein „Sprachregime“. Es gründe sich auf einer politisch in globalem Maßstab durchgesetzten, medial flankierten und von Digitalplattformen abgesicherten Definitionsmacht. Und es habe augenblicklich ein Stadium erreicht, wo mittels rechtlicher Privilegierung der „Geimpften“ und Diskriminierung der „Ungeimpften“ ein „neues biopolitisches Kastensystem“ entstehe. Die schiere Dauer medialer Präsenz unterscheide das Großthema „Corona“ von allen jenen Themenkonjunkturen und Aufmerksamkeitszyklen, die bis zu Beginn der Pandemie im Januar 2020 einer beschleunigten Abnutzung ihres Neuigkeitswertes unterlagen. Bei Corona stand hingegen ausreichend Zeit zur Verfügung, die Bevölkerung durch maßlos gesteigerte Signal- und Symboldichte“  an die „Neue Normalität“ zu gewöhnen und ihre alten lebensweltlichen Üblichkeiten und „Freiheiten“ systematisch zu „kolonialiseren“. Das habe sich als „schleichender Prozeß der semantischen Umdeutung“ vollzogen. Dabei half die bereits in der Migrations- und Klimapolitik bewährte, nun mit schicksalsgleichen Unbedingtheiten wie „Gesundheit“ und „Leben“ statt „humanitäre Notlage“ oder „Klimakatastrophe“ angereicherte hypermoralische Erzählung, die Zumutung staatlicher Selbstermächtigung zu verschleiern. Mit dem Versprechen einer allein durch Impfung wiederzugewinnenden Normalität treibe der „Absolutismus der Gesundheit die Normalisierung und Totalisierung der Ausnahme“ mit Macht voran. „Der Quellcode des Regimes ist allgegenwärtig“ (Tumult, 3/2021). (ob)  
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