© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Fortschritt: Die Ankündigung, daß ab dem kommenden Jahr Robo-Taxis durch unsere Städte rollen werden, erfüllt mich mit Vorfreude. Schlimmer als jetzt mit den menschlichen Chauffeuren kann es nicht werden. Ich rechne mit mehr Sprachkenntnis und mehr Ortskenntnis und der Bereitschaft, sich auf den Musikgeschmack des Fahrgastes einzustellen oder ihn einfach zufriedenzulassen.
˜
„Die Kämpfe um die Macht nehmen in der Geschichte aus einer tieferen Ursache einen so großen Raum ein als aus dem Wunsch, einen besseren Staat zu haben: bestimmter Kräfte wegen, die im Innern der menschlichen Gesellschaften tätig sind und sie verhindern, sich in einer endgültigen Form zu kristallisieren. (…) Doch sie sind nicht wie lebende Wesen sichtbar und greifbar, sie gleichen jenen Mittlern zwischen der Gottheit und den Menschen, die die Römer ‘Genii’ nannten, und die sie sich allgegenwärtig zwischen den Menschen vorstellten, immer tätig, um ihnen zu helfen oder um sie zu quälen, aber unsichtbar und körperlos. Darum wissen auch die Menschen schließlich allzuhäufig nichts von ihrer Gegenwart und selbst von ihrem Dasein. Und dennoch ordnen diese unsichtbaren Geister unsere ganze Existenz.“ (Guglielmo Ferrero)
˜
Apropos Wahlbeteiligung: „Man wird ja wohl für Deutschland am Sonntag mal den A… vom Sofa hochkriegen.“ (Rosemarie Frese)
˜
Irgendwann wurde begonnen, die Ansprache, die der US-Außenminister James Byrnes vor 75 Jahren, am 6. September 1946, gehalten hat, nicht mehr „Stuttgarter“, sondern „Hoffnungsrede“ zu nennen. Die Umetikettierung ist bezeichnend für das verklärte Licht, in dem die Deutschen die Nachkriegszeit zu sehen gelernt haben. Als Byrnes vor jenen Repräsentanten der deutschen Bevölkerung sprach, die durch die amerikanische Besatzungsmacht in ihrer Zone eingesetzt worden waren, ging es ihm aber weniger darum, die Kehre deutlich zu machen, die Washington im Hinblick auf die Besiegten eingeleitet hatte. In erster Linie wollte er die Stimmungslage von Verdächtigen prüfen und ihnen ein paar Köder hinhalten, um zu sehen, wie sie darauf reagierten. Zu den appetitlichsten gehörte neben dem gesamtdeutschen „Nationalrat“ auch die sibyllinische Äußerung über Ostdeutschland, das völkerrechtswidrig durch die Sowjetunion und Polen annektiert worden war: „Wie aus dem Protokoll der Potsdamer Konferenz hervorgeht,“ sagte Byrnes, „einigten sich die Staatsoberhäupter (…) nicht dahingehend, die Abtretung eines bestimmten Gebietes zu unterstützen.“ Das entsprach zwar formal den Tatsachen, hatte aber nichts mit den Optionen zu tun, die man tatsächlich in Betracht gezogen hatte, als die vier Siegermächte zusammengetreten waren. Das von Byrnes angewandte Verfahren nutzte im übrigen auch die östliche Seite, wenn Moskau über die Stalinnoten von 1952 hinaus die Perspektive einer Nationalregierung eröffnete und die Möglichkeit einer Grenzrevision andeutete.
˜
Im Gespräch mit der Friseurin (Migrationshintergrund: Iran), Thema: Die großen Mächte. Sie: „Den Amerikanern traue ich alles zu.“ Der Kunde: „Und den Russen?“ Sie: „Denen sowieso.“ Der Kunde: „Was ist mit den Chinesen?“ Sie: „Denen auch. Aber da muß man Verständnis haben. Die waren so lange raus aus dem Spiel. Die haben jetzt Nachholbedarf und machen deshalb alles platt.“ Der Kunde: „Und die Deutschen?“ Sie: „Denen traue ich gar nichts zu.“ Der Kunde: „Warum nicht?“ Sie: „Zu weich. Vor allem die Männer, alles Memmen.“
˜
Armin Laschets Satz auf dem CSU-Parteitag: „In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“, mit dem er unter Beweis stellen wollte, daß er gegen den großkoalitionären Partner auch „klare Kante“ zeigen kann, hat einen Shitstorm gegen den „Rheinland-Trump“ ausgelöst. Seine Verteidiger wiesen sofort darauf hin, daß regelmäßig der Schlußteil „in der Wirtschafts- und Finanzpolitik“ ausgelassen wurde, um die Empörung zu schüren. Dabei liegt, wenn überhaupt, in dieser Einschränkung der eigentliche Skandal. Denn selbstverständlich hat die SPD seit 1949, wenn es um die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik, die Familienpolitik, die Bildungspolitik und ganz allgemein die Prinzipien des Grundgesetzes ging, stets auf der falschen Seite gestanden. Man denke an die schlecht ausgehandelten Ostverträge oder die Intervention auf dem Balkan, die Unterstützung der Irak- oder der Afghanistaninterventionen, die Feindseligkeit gegenüber der Bundeswehr im allgemeinen und das Liebäugeln mit dem Pazifismus im besonderen, die „Reform“ des Abtreibungsrechts und die „Ehe für alle“, die groteske Bildungsexpansion und den Aufbau von Gesamt(hoch)schulen, die Aushöhlung des gesamtdeutschen Bewußtseins in der Zeit der Teilung, die doppelte Staatsbürgerschaft, den Abbau der Inneren Sicherheit, die Verharmlosung des Linksextremismus, die Begeisterung fürs Buntwerden des Vaterlandes und die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 1. Oktober in der JF-Ausgabe 40/21.