© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Mit dunkelroter Brille
Politdrama: „Je suis Karl“ warnt vor einer rechten Jugendbewegung
Wolfgang Paul

Dieser Film ist laut. Mit einem aufdringlichen Soundtrack haben Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich ihre Absicht umgesetzt. Wachrütteln wollten sie mit ihrem Film „Je suis Karl“ – und warnen vor einer neuen rechten Jugendbewegung.

Diese Bewegung – eine Anspielung auf die Identitären – wird als eine europaweite Vereinigung junger Menschen beschrieben, die reden wollen, über das, „was uns Angst macht“. Der Film schildert, wie sie sich unter dem Motto „Re/Generation Europe“ in Prag versammeln und den Regierungen den Krieg erklärt. „Wir sind das neue Europa!“ ist ihre Losung. Eine Frau, die „Sieg heil!“ ruft, wird mit „That was yesterday“ zur Ordnung gerufen und entgeht knapp dem Rauswurf.
Maxi Baier (Luna Wedler), die Hauptfigur des Films, soll von dem schlimmen Schicksal berichten, das sie ereilt hat. Maxi kommt aus Berlin und hat gerade ihre Mutter und zwei Zwillingsbrüder bei einem Bombenanschlag verloren. Ihr Vater Alex hatte von einem vermeintlichen Postboten ein Paket für eine Nachbarin angenommen. Als er zu seinem Wagen geht, um den vergessenen Wein zu holen, explodiert das Haus und die Reste seiner Wohnung fliegen ihm um die Ohren.
Das Geschehen wird bis
ins Absurde gesteigert

Vater und Tochter gehen recht unterschiedlich mit dem Verlust ihrer Nächsten um. Er ist sichtlich traumatisiert, sie wehrt aggressiv die Trauer ab. Karl (Jannis Niewöhner), ein gutaussehender junger Mann, taucht auf. Er spricht Maxi an, spielt den Beschützer und lädt sie schließlich zu dem besagten Prager Event ein. Daß er selbst der Bombenüberbringer war, deutet der Film nur an. Der Anschlag ist jedenfalls von seinen Leuten ausgegangen und soll offensichtlich den Islamisten in die Schuhe geschoben werden.

Maxis Neugier auf die Sammlungsbewegung ist geweckt, Vater Alex weiß dagegen nicht aus noch ein, weil die verschwundene Tochter seine Anrufe nicht annimmt. Sie ist in Prag nicht nur auf politische Irrwege geraten, sondern läßt sich auch noch mit Karl ein. So landet sie, um das melodramatische Maß voll zu machen, mit ihrem Verführer schließlich im Bett.
Unaufhaltsam eilt der Film seinem dramatischen Höhepunkt entgegen. Von Prag geht es zu einem merkwürdigen Referendum nach Straßburg. Dort soll Maxi endlich an die Öffentlichkeit gehen und von dem berichten, was ihr widerfahren ist. Sie soll auch dazu aufrufen, das Vaterland zu verteidigen, was wiederum dem fanatisierten Karl nicht genug ist. Er will sich opfern, um der politischen Bewegung noch mehr Schwung zu verleihen. Um eine europäische Revolte anzuzetteln, will er sich erschießen lassen, gewissermaßen als neuer Typ eines Selbstmordattentäters.

Diese krude Geschichte serviert der Film mit passenden Zutaten. So sehen wir zu Beginn in einem Amateurvideo, wie das Ehepaar Baier einen Araber im Auto nach Deutschland schmuggelt. Suggeriert wird, daß der spätere Anschlag auch damit etwas zu tun haben könnte. Der mittlerweile gut Deutsch sprechende Araber stellt schließlich für den ratlosen Alex den Kontakt zu Maxi her und fährt mit ihm nach Straßburg, wo sich die elegante Odile Duval (Fleur Geffrier), eine Marine-le-Pen-Version, die einem Modemagazin entstiegen zu sein scheint, der Jugendbewegung angeschlossen hat. Schließlich bricht die Revolte los, Autos gehen in Flammen auf, und eines ist – damit auch der letzte Zuschauer die richtigen Schlüsse zieht – mit einem Hakenkreuz beschmiert. Die Szenen ähnelten ansonsten viel mehr den linksradikalen G20-Exzessen in Hamburg.
Der Film scheut nicht davor zurück, das Geschehen bis ins Absurde zu steigern. Er versucht sich als Verschwörungsthriller, ähnelt in der Zeichnung der Figuren eher dem „Manchurian Kandidat“ als einem ernsthaften Beitrag zur politischen Aufklärung. Die Darsteller agieren durchweg überzeugend.

Dem rein handwerklich durchaus gelungenen Drama, das in vier Kategorien für den diesjährigen Deutschen Filmpreis nominiert ist, würden die Angelsachsen das Attribut „camp“ verleihen, ein Wort, das überspannte Kunstwerke bezeichnet, die man distanziert mit einem gewissen snobistischen Amüsement betrachten kann. Ernstnehmen kann man den Film nur mit einer dunkelroten Brille.

Zudem spricht aus dem Titel „Je suis Karl“ eine unglaubliche Ignoranz. Ein schnelles Identifizieren mit Opfern soll hinterfragt werden, sagen die Filmemacher, denen sich die Anspielung zu „Je suis Charlie“ aufgedrängt habe. Doch sie verharmlosen damit ein islamistisches Attentat, indem sie es mit einem vorgetäuschten Attentat gleichsetzen, das zum Haß aufruft. Und da hört der Spaß dann endgültig auf.

Kinostart ist am 16. September 2021 https://je-suis-karl.film