© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Blick in die Medien
Mit Kanonen auf Spatzen
Tobias Dahlbrügge

Andy Grote war bis vor kurzem außerhalb Hamburgs relativ unbekannt. Doch nun lacht und lästert das deutschsprachige Internet über das „Pimmelgate“ des SPD-Innensenators. Im Mai hatte sich Grote über Partys trotz Corona geärgert und nannte die Feiern auf Twitter „eine dämliche Aktion“. Ein Hamburger Gastronom antwortete ihm „Du bist so 1 Pimmel“. Eigentlich sollte eine prominente Person, die sich selbst meinungsstark auf Twitter exponiert, einen robusten Sprachgebrauch aushalten. Doch der sensible Grote stellte Strafantrag wegen Beleidigung. Gastwirt Marlon P. wurde polizeilich vorgeladen und gestand, daß er Inhaber des Accounts „Zoo St. Pauli“ sei, von dem der Pimmel-Tweet abgesetzt worden war.

Der Hashtag „#Pimmelgate“ erobert binnen weniger Stunden Platz 1 der Twitter-Deutschlandtrends

Doch damit war der Fall nicht zu Ende, sondern fing erst an: Ein SEK rammte morgens um sechs die Tür der Wohnung ein, in der P. gemeldet war. Allerdings wohnt er dort nicht mehr. Sechs Beamte überrumpelten stattdessen seine Ex-Partnerin Mara und deren kleine Kinder. Grund der Aktion: Sie suchten das Endgerät, von dem die Beleidigung gepostet wurde – wozu auch immer. Polizei, Staatsanwaltschaft, Innenbehörde und Grote erklären, daß dieser Rambo-Auftritt überhaupt nicht übertrieben sei …

Von dem Pimmel-Tweet hätte kaum jemand Notiz genommen. Allein durch diese schwellkörpermäßige Action-Szene ist Grote nun als „#PimmelAndy“ im ganzen Land bekannt. Der Hashtag „#Pimmelgate“ erobert Anfang September binnen weniger Stunden Platz 1 der Twitter-Deutschlandtrends. Auch der reichweitenstarke Satireblog Der Postillon hat sich des Themas schon humorig angenommen. Es wird Zeit, daß Politiker im Umgang mit sozialen Medien professionell geschult werden.

Doch der völlig überzogene „Mit Kanonen auf Spatzen“-Einsatz hat auch eine ernste Problematik, nämlich daß Behörden bei sexueller Beleidigung und Belästigung im Internet oft eher träge handeln. Fernsehmoderatorin Ruth Moschner (ProSieben/Sat.1) twitterte: „Heißt das jetzt, ‘Pimmel’ sagen, wird krasser strafrechtlich verfolgt, als Pimmel-Bilder zu verschicken? Auf meine Strafanzeigen hat es bisher nichts gegeben.“