© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Erbitterte Feindschaften
Der britische Historiker Peter H. Wilson hat ein Mammutwerk über den Dreißigjährigen Krieg vorgelegt
Eberhard Straub

Die Folge von Kriegen, die als Dreißigjähriger Krieg – 1618 bis 1648 – zusammengefaßt werden, dauerte tatsächlich vierzig Jahre. Sie findet erst mit dem Pyrenäen-Frieden 1659 zwischen Spanien und Frankreich zu einem Ende. In der Regel wird der Friede von Münster und Osnabrück 1648 als gelungener Abschluß gewürdigt, der am Anfang einer neuen Epoche steht. Daran hält sich auch Peter H. Wilson in seiner Geschichte, die er dennoch eine europäische Tragödie nennt, obschon er sie vorzugsweise als eine deutsche und mitteleuropäische schildert. Er kann sich nicht entscheiden, welche Perspektive er einnehmen möchte. Ganz zu Recht erinnert er immer wieder daran, daß Spanien, nach dem Kaiser der mächtigste Reichsstand, zwar von vornherein in die Kriege verwickelt war, aber an einem möglichst raschen Ende interessiert war, weil es einen Krieg mit Frankreich möglichst vermeiden wollte. Frankreich, mit inneren Unruhen voll ausgelastet, ging es nicht viel anders.

Doch Richelieu, der für den französischen König Ludwig XIII. die außenpolitischen Angelegenheiten führte und in Spanien die Macht fürchtete, die wie eh und je die Bewegungsfreiheit Frankreichs durch eine Einkreisungspolitik unterbinden wollte, konnte doch versuchen, andere Mächte zu überreden, gleichsam als Stellvertreter Kriege zu führen, in denen sie zu ihrem Vorteil den Kaiser, das Reich und Spanien schwächten und damit Frankreich in die Lage versetzten, nach seinen Vorstellungen  zum Schiedsrichter in Europa aufzusteigen und im Namen der Freiheit Europas die Vormachtstellung der gesamten Casa de Austria zu unterminieren. Das meinte, eine Übereinstimmung unter Dänen und Schweden, zwischen Engländern und den rebellischen Niederlanden, unzufriedenen Italienern und Deutschen zu erreichen. Richelieu stand im Hintergrund und sorgte als „indirekte Macht“ für Unruhen und Kriege, bis es 1635 offen in den Krieg mit Spanien und dem Reich eintreten mußte.

Westfälischer Frieden schuf keine europäische Friedensordnung

Nach dem spektakulären Sieg der Spanier und Kaiserlichen bei Nördlingen 1634 über die Schweden und als der Frieden deutscher Fürsten mit dem Kaiser in Prag 1635 geschlossen war, zweifelten viele in Europa, ob Frankreich wirklich dazu befähigt sei, der „österreichischen Universalmonarchie“ Einhalt zu gebieten. Auch das Heilige Römische Reich – immerhin eine Großmacht – ließ sich widerstrebend auf einen Krieg mit Frankreich ein, das seitdem zumindest für die Kaiserlichen zum Erbfeind der Reichspatrioten wurde. Dieser große, mit ziemlicher Erbitterung geführte, Krieg beschäftigte die Europäer 25 Jahre. Wilson freilich beschäftigt sich vorzugsweise mit aufgeregten Bayern und katholischen Kurfürsten, die aus Angst vor spanisch-österreichischer „servitut“ zu Vasallen der Franzosen werden, oder mit Niederländern und Schweden und deren Ein- oder Mißverständnissen mit den unberechenbaren Deutschen und ihren Eifersüchteleien. Die „europäische Tragödie“ entwickelt sich auf Heimatbühnen mit verschiedensten Dialekten, und Geschichte erschöpft sich weitgehend in dramatisierter Heimatkunde.

Die Heimaten waren keine Idyllen und Soldaten ohnehin unsentimentale Glücksritter. Über ihren Alltag erfährt der Leser von Wilson genug. Als demokratischer Geschichtenerzähler hält er die egoistischen großen Mächte für gar nicht so wichtig. Die Leiden und Freuden des kleinen Mannes und des gemeinen Soldaten erfahren daher teilnahmsvolle Beachtung, der, wenn er schon kämpft und stirbt für die „Herren“, dabei wenigstens auf seine Kosten kommen will mit Wein, Weib und Gesang, mit Plündern und stattlichem Lohn. Die Glücksritter sind allerdings oft genug nur arme Teufel; die meisten fallen nicht im Kampf, sie werden zu Opfern von Seuchen wie die Zivilisten, die sie zuvor beraubt und ausgesaugt haben. Manche von ihnen machen als soziale Aufsteiger Karriere und bringen es zum General und heiraten eine Gräfin. In unübersichtlichen Zeiten ist das normal.

Die Kriege waren schrecklich. Darüber ist später viel geschrieben worden. Die Zerstörung Magdeburgs 1632 symbolisierte damals die terroristische Leidenschaft, zu der bedingungslose Feindschaft fähig ist. Aber wie kam es dazu? Peter H.Wilson fordert in Übereinstimmung mit vielen anderen Historikern dazu auf, die Kriege nicht weiter als Religionskriege zu begreifen und die Wirkung der ungemein pathetischen und sehr intellektuellen Propagandisten der jeweiligen Mächte, vor allem der Spanier und Franzosen, nicht zu überschätzen. So bleibt unklar, warum und wofür erbittert gekämpft worden war. Den Frieden von Münster und Osnabrück 1648, ein Teilfrieden, der das Reich betraf, überschätzt er allerdings, wie es längst wissenschaftliche Mode geworden ist.  

Der Westfälische Frieden gab dem Reich eine lockere Verfassung, die bis zu seiner Auflösung 1806 bestand. Für die Deutschen blieb deshalb dieser Vertrag eine Art Grundgesetz, weshalb er wie ein solches als unverletzbar angesehen wurde. Doch der Frieden schuf überhaupt keine dauerhafte Ordnung in Europa. Denn von 1688 bis 1715 kämpften die europäischen Mächte gegen Frankreich, um dessen hegemoniale Macht erfolgreich einzuschränken. Erst mit dem Frieden von Utrecht 1713 kommt es zu dem Konzert der Großmächte, in dem auch Deutschland mit zwei Großmächten – Österreich und Preußen – einen angemessenen Platz einnehmen konnte. Dieses System, während der Französischen Revolution und dann von Napoleon erschüttert, wurde 1815 auf dem Wiener Kongreß erneuert und ermöglichte bis 1914 eine einzigartige Friedenszeit in der europäischen Geschichte.  

Die wirkliche große Errungenschaft des Westfälischen Friedens für Europa, von der Peter H. Wilson gar nicht spricht, ging erst im „Großen Krieg“ ab 1914 wieder verloren, daß nämlich von nun an der Krieg als ein Duell sittlich gleichberechtigter Teilnehmer galt. Es gab seitdem keine Debatte über Kriegsschuld oder Kriegsverbrechen. Jeder Krieg war gerecht, weil von jetzt ab der Krieg als Ultima ratio des Souveräns, als ein politisches Mittel, anerkannt wurde, zu dem jeder greifen konnte, sobald es ihm geboten schien, auf diese Art seine Interessen geltend zu machen. Jeder Krieg endete mit Kompromissen. Eine bedingungslose Kapitualion und totale Demütigung eines souveränen Staates widersprach gerade der Absicht, die stets bewegliche Ordnung unter den Staaten nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Diese Übereinkünfte erlaubten im Namen der Staatsraison eine Friedensfähigkeit, die abhanden gekommen ist, was eine andere europäische Tragödie ist.

Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie. Theiss Verlag in Wissenschaftlicher Buchgesellschaft, Darmstadt 2021, gebunden, 1.180 Seiten, Abbildungen,
30 Euro