© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/21 / 17. September 2021

Nur fatale Westimporte?
Hoyerswerda diskutiert über die Ausschreitungen vor 30 Jahren
Paul Leonhard

Symbolpolitik steht im sächsischen Hoyerswerda zum 30. Jahrestag der fremdenfeindlichen Ausschreitungen hoch im Kurs. Die Initiative „Zivilcourage Hoyerswerda“ präsentiert öffentlichkeitswirksam ihre Kunstaktion: „Hoyerswerda sauda Mocambique.“ Zwar dürfte kaum einer der Einwohner der Kleinstadt Portugiesisch sprechen, aber was gemeint ist, ist allen klar: Hoyerswerda grüßt das ferne afrikanische Land. Die Kunstaktion, die gefilmt und bei Youtube hochgeladen wird, damit sie – so die Initiatorin Sabine Proksch – „weltweit zu sehen ist“, wird dazu beitragen, daß etliche Hintergründe verschwiegen werden und sich Klischees über den fremdenfeindlichen DDR-Bürger verfestigen.

Die Ausschreitungen, die im September 1991 Hoyerswerda, eine Stadt der Bergbaukumpel und Energiearbeiter mit damals 70.000 Einwohnern, in die Schlagzeilen brachten und die von westdeutschen Neonazis geschürt wurden, bis sie pogromartige Ausmaße annahmen, richteten sich nicht vordergründig gegen mosambikanische und vietnamesische Vertragsarbeiter, die bereits seit Ende der 1970er Jahre in den Plattenbauten der Neustadt von Hoyerswerda lebten und in der Kohleindustrie arbeiteten, sondern gegen die von der Bundesregierung direkt nach der Wiedervereinigung aus dem Westen umgesiedelten Asylbewerber. Diese waren über die Zustände in „Hoywoy“ genauso geschockt wie die dort lebenden Menschen über die Ansprüche der aus der alten Bundesrepublik in die Überreste des real existierenden Sozialismus umgesiedelten jungen Männer aus Ghana, Bangladesch, Rumänien und dem Iran, die sofort ins Wohlstandsgebiet zurückwollten, wie sie auf Plakaten verkündeten: „Wir wollen Rückkehr West. Nur West ist Deutschland.“

Es waren Kleinigkeiten, an denen sich die gegenseitige Abneigung hochschaukelte. Der Spott der Asylbewerber über die Kleiderspenden der Hoyerswerdaer und die offene Mißachtung deutscher Gepflogenheiten. Die Spannungen riefen etliche Rechtsradikale auf den Plan, die auch aus Westdeutschland nach Sachsen kamen und die Situation anheizten. Die Unruhen begannen am 17. September und steigerten sich in den folgenden Tagen mit Attacken erst gegen ein Asylbewerber-Wohnheim, dann auch gegen eines mit Vertragsarbeitern. Es flogen Brandsätze, die Polizei wurde mit Steinen beworfen, ein Mob jubelte, rechtsextreme Jugendliche provozierten mit Hitler-Grüßen, die teilweise auch auf Verlangen der TV-Teams gezeigt wurden, die scharenweise aus ganz Deutschland anreisten. Die Antifa marschierte auf und lieferte sich Schlägereien mit Skinheads. Den Höhepunkt des Spektakels stellte die Evakuierung von 230 Asylbewerbern am 20. September dar, die wie zuvor gefordert wieder nach Westdeutschland kamen. Weniger glücklich waren die rund sechzig Vertragsarbeiter dran, die klammheimlich in ihre Herkunftsländer abgeschoben wurden.

Einige Zeitzeugen werden bei dem Themenwochenende, das in der Stadt vom 17. bis 19. September unter dem Motto „Hoyerswerda 1991: Erinnerungen – Einsichten – Perspektiven“ stattfindet, gewiß daran erinnern. Angekündigt sind Gastarbeiter, Nachbarn, Polizisten, Politiker und Täter.