© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Bloß nicht umdenken
Der Umgang mit der Flutkatastrophe ist bezeichnend für die deutsche Politik
Ulrich van Suntum

Mindestens 180 Todesopfer hat die Flutkatastrophe vom Juli in Deutschland gefordert, dazu mehr als 700 Verletzte. Die Sachschäden werden auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt, zahllose Menschen verloren ihre Häuser und beruflichen Existenzgrundlagen. Dennoch ist das Thema erstaunlich schnell wieder aus den Medien verschwunden. 

Die Politik reagierte wie üblich in solchen Fällen mit Geld und guten Worten. Man werde die Flutopfer nicht vergessen, sagte Kanzlerin Merkel. Bundespräsident Steinmeier sprach von einer „Tragödie“, die ihn fassungslos mache, und versprach Solidarität mit den Betroffenen. Von 200 Millionen Euro Soforthilfe war zunächst die Rede, die schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden sollten.  Inzwischen will man 16 Milliarden Wiederaufbauhilfe allein in diesem Jahr „in die Hand nehmen“. Es mehren sich inzwischen allerdings die Beschwerden aus dem Katastrophengebiet, daß das versprochene Geld zu spät, zu bürokratisch oder auch gar nicht ausgezahlt wurde.

Wo die riesigen Summen so plötzlich herkommen sollen, wird ohnehin kaum gefragt. Auch die politische Verantwortung für die Katastrophe spielt im laufenden Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle. Gegen den CDU-Landrat von Ahrweiler ermittelt zwar der Staatsanwalt, und im Landtag von Rheinland-Pfalz soll ein Untersuchungsausschuß das Verhalten von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihrer grünen Umweltministerin Anne Spiegel durchleuchten. Bis dies greifbare Konsequenzen hat – wenn überhaupt –, dürfte jedoch noch viel Wasser die Ahr herunterfließen. Rücktritte hat es weder in der Bundesregierung noch in einer Landesregierung gegeben, auch nicht in Armin Laschets ebenfalls stark betroffenem Nordrhein-Westfalen. 

Lieber feierte man die vielen ehrenamtlichen Helfer als „Flutopfer-Helden“, um vom eigenen Versagen abzulenken, ganz im Stile der früheren DDR. Dabei störte es auch niemanden, daß die Zusammensetzung der Helferteams nicht den heute üblichen politischen Kriterien entsprach. Man sah vielmehr fast ausschließlich weiße Männer ohne erkennbare Regenbogenmerkmale, die zudem mit schweren Dieselfahrzeugen statt mit E-Mobilen oder Lastenfahrrädern anrückten. Das schien plötzlich niemanden mehr zu stören. Es wurde aber auch nicht zum Anlaß genommen, politische Vorgaben dieser Art einmal grundsätzlich in Frage zu stellen.

Auch der Schuldige war schnell gefunden: Es sei der „menschengemachte Klimawandel“, der nun endlich gestoppt werden müsse, wußte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schon nach wenigen Tagen. Daß Deutschland mit seinem Anteil von nur 1,9 Prozent am anthropogenen CO2-Ausstoß auf das Weltklima praktisch gar keinen Einfluß hat, blieb unerwähnt. Ebenso die Tatsache, daß der Klimawandel ja nicht erst seit gestern bekannt, sondern bereits seit Mitte der 1980er Jahre ein großes politisches Thema ist. Der Klimaausschuß der Vereinten Nationen IPCC ist bereits 1988 gegründet worden, spätestens seit 1995 gibt es eine europäische Klimaschutzpolitik. Man hätte also viel Zeit gehabt, sich auf mögliche Folgen zunehmender Extremwetterlagen vorzubereiten. Gerade wer an die Klimathese glaubt, hätte spätestens nach der Elbeflut 2002 vorbeugende Maßnahmen in allen von Hochwasser bedrohten Landesteilen einleiten müssen. 

Daß dies nicht oder offenbar nur unzureichend geschehen ist, ist der eigentliche Skandal hinter der aktuellen Katastrophe. Nicht einmal die Warnsysteme in letzter Minute haben funktioniert, weswegen viele Menschen unnötigerweise ihr Leben verloren haben. Leider ist das Versagen dann, wenn es darauf ankommt, mittlerweile symptomatisch für die deutsche Politik. Wir haben es in der Corona-Krise ähnlich erlebt: Im Land mit dem angeblich besten Gesundheitssystem der Welt waren zunächst nicht einmal Masken verfügbar, dann fehlte es an Impfstoff und Krankenhauspersonal. Dabei hatte es auch hier genügend Warnungen vor den Folgen einer Pandemie gegeben. So beschreibt etwa eine ausführliche Risikoanalyse für den Bundestag aus dem Januar 2013 in beängstigend vorausschauender Weise exakt das, was wir seit 2020 erlebt haben (BT-Drucksache 17/12051). Nur praktische Konsequenzen wurden daraus offenbar keine gezogen.

Zu befürchten ist, daß es auch nach der jüngsten Flutkatastrophe im gleichen Trott weitergehen wird. Während die Menschen an der Ahr sich einer neuen Flut erwehren müssen, nämlich aus aufwendigen Anträgen und bürokratischen Hürden, ist in der Politik kein wirkliches Umdenken erkennbar. 

Viel sinnvoller als „Klimaradeln“ und anderer Unfug zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes wären nämlich Maßnahmen, die unser Land auf die vermutlich unausweichlichen Klimaveränderungen vorbereiten. Soweit der Mensch überhaupt das Klima beeinflussen kann, liegt der Schlüssel dazu nicht bei uns, sondern in den Hauptemissionsländern China, den USA und Indien. Sie allein verursachen mehr als die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen und zwar mit steigender Tendenz. 

Und selbst global stellt sich die Frage, ob es nicht klüger wäre, sich auf den Klimawandel einzustellen, statt unvorstellbare Summen für unerreichbare Temperaturziele auszugeben. Neben dem Hochwasserschutz wären auch Gebäudeertüchtigung gegen Hitze und Sturm sowie die Anpassung von Landwirtschaft und Vegetation anzuraten. In Deutschland dürfen solche Fragen aber nicht einmal gestellt werden, ohne als „Klimaleugner“ dazustehen.

Oft hat man den Eindruck, daß es dabei mehr um die Durchsetzung der Maßnahmen wie Auto-Verbote geht als um das Klimaziel selbst, das nur als willkommener Vorwand dient. Dies würde auch erklären, warum Fridays for Future bisher immer nur in deutschen Innenstädten, aber noch nie vor der chinesischen Botschaft oder gegen die Brandrodung in Indonesien demonstriert hat. Die Opfer der nächsten Naturkatastrophe werden dafür bezahlen.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte von 1995 bis 2020 VWL an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.