© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Ricarda Lang: Die Grüne reitet das neue politische Steckenpferd „Body Positivity“. Nun zieht sie in den Bundestag ein.
Mittelmaß der Buntheit
Friedrich-Thorsten Müller

Wenn am Sonntag die Wahllokale schließen, wird viel von Verlierern die Rede sein. Jemand, der – so oder so – nicht zu diesen gehören dürfte, ist die grüne Vizebundesvorsitzende Ricarda Lang aus dem Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd. Denn sollte wider Erwarten der ziemlich sichere Platz zehn der baden-württembergischen Landesliste nicht für den Einzug in den Bundestag reichen, hätte die 27jährige immerhin die Chance, ihr vor neun Jahren begonnenes Jura-Studium zu Ende zu bringen. Was ihr die Chance gäbe, auch ohne die Politik einen soliden Broterwerb zu finden.

Eher wahrscheinlich ist aber, daß die frauenpolitische Sprecherin der Partei einen Posten im neuen Fraktionsvorstand erhält. Denn die in Filderstadt bei Stuttgart als Tochter einer Sozialarbeiterin und eines Bildhauers geborene Wahlberlinerin und vormalige Vorsitzende der Grünen Jugend weiß die Möglichkeiten unserer Zeit zu nutzen. Gerne läßt sie per Twitter an ihrem Verständnis von zeitgemäßer Politik und Karriere teilhaben, etwa: „Ich schäme mich null, auch mit der Quote in mein Amt gekommen zu sein.“ Und als ihre Themen nennt sie neben „Feminismus, Vielfalt und Strategien gegen Rechts“ den Kampf für „Body Positivity“, also gegen das Unbehagen an zu dicken Körpern. 

Als im letzten Jahr Internettrolle ihre Leibesfülle zum Thema machten, bemerkte sie zutreffend in der FAZ: „Der Körper wird als Möglichkeit eines einfachen Angriffs gesehen, (um) sich nicht mit den Inhalten einer Person auseinanderzusetzen.“ Was sie aber verschwieg: Sie weiß sehr wohl, daß sich solche, heute „Fat shaming“ genannten Angriffe bestens eignen, sich als Opfer darzustellen und auch gegen interne Wettbewerber unangreifbar zu machen. Wer sich gegen sie stellt, ist schließlich fortan nicht nur Frauenhasser, sondern noch dazu Dickenfeind.

Lang steht für einen neuen Politikertypus, der dem Wähler nicht mehr Leistung, sondern Haltung anbietet.   

Denn wann immer schließlich ein Hauch von Diskriminierung im Raum steht oder stehen könnte, kommt in der postfaktischen „Nichtwissenwollengesellschaft“ (Eduard Kaeser) die sogenannte Haltung ins Spiel – und dies selbstverständlich mit maximaler Nachsicht für vermeintlich oder tatsächlich Benachteiligte. So braucht es Ricarda Lang auch nicht zu interessieren, daß man sie mit einer großen Tüte Fastfood von McDonald’s fotografiert, während ihre Partei ein Fernsehwerbeverbot für die Kalorienbomben fordert. Das sind schließlich nur kleine, läßliche Sünden, die lediglich „groß aufgebauscht“ würden, um sie zu diskreditieren. 

Es ist schwierig, diesem neuen Politikertypus beizukommen. Er versucht gar nicht erst, mehr zu sein, als er ist. Er macht aus der Not eine Tugend und verkauft seine mangelnde Autorität und Vorbildfunktion einfach als Volksnähe, als „Augenhöhe mit dem Bürger“ und mehr Querschnitt der Bevölkerung im Parlament. 

Früher gehörte es zum guten Ton, daß Politiker einen respektablen Beruf und Kinder hatten und damit die Befähigung zur Verantwortung nachwiesen. Und durch Sportlichkeit suggerierte man gerne Dynamik und Belastbarkeit. Die Welt von Antidiskriminierung und Quote lechzt dagegen nach Mittelmaß und Buntheit um ihrer selbst willen.

  www.ricarda-lang.de