© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Wer macht’s mit wem?
Bundestagswahl: Scholz liegt weiter vorne / Laschet macht Rennen nochmal spannend
Jörg Kürschner

Nach einem eher drögen Auftakt mit Geplänkel über peinliche Plagiate und deplazierte Lachszenen hat sich der Bundestagswahlkampf in der Schlußphase zu einem spannenden Zweikampf zwischen Union und SPD entwickelt. Den Umfragen zufolge ist es Kanzlerkandidat Olaf Scholz gelungen, CDU/CSU in einer unerwarteten Aufholjagd hinter sich zu lassen, deren komfortabler Vorsprung wie Schnee in der Sonne geschmolzen ist. Nach einem furiosen Start ihrer Kandidatin Annalena Baerbock haben sich die Grünen damit abgefunden, daß die Nachfolge der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zwischen zwei Männern entschieden wird. Baerbock wird das Kanzleramt mangels eigener Regierungserfahrung offenbar nicht zugetraut.

Demonstrativ zur Schau gestellte Einigkeit bei der Union ist brüchig

Verändert haben sich in den vergangenen Wochen die Befindlichkeiten führender Unions- und SPD-Politiker. Die Selbstgewißheit etwa eines Wolfgang Schäuble (CDU), dem von ihm gegen den Konkurrenten Markus Söder (CSU) durchgesetzten Kandidaten Armin Laschet falle das Kanzleramt fast automatisch zu, ist der Nervosität gewichen. So gab der CDU-Senior Merkel eine Mitschuld am Umfragetief. Deren Entscheidung im Herbst 2018, den Parteivorsitz abzugeben, als Regierungschefin aber bis zum Ende der Wahlperiode im Amt zu bleiben, habe zu dem „engen Rennen“ mit der SPD geführt. Söder hielt dagegen, Merkels Auftreten sei „jedesmal ein Gewinn und nicht das Gegenteil“. Dementsprechend haben Merkel und Laschet im Schlußspurt noch zwei gemeinsame Wahlveranstaltungen in Aachen und Stralsund gemeinsam bestritten. Der Eindruck war entstanden, der Dauer-Kanzlerin sei es egal, wer ihr im Amt nachfolge. Doch die demonstrativ zur Schau gestellte Geschlossenheit der Unionsparteien ist brüchig. Man erinnert sich an Söders Worte nach Laschets Kandidatenkür:  „Die Entscheidung lag damit in den Händen der CDU, die damit auch die Verantwortung für das Verfahren und das Ergebnis übernimmt.“

Gleichwohl gab sich die Union siegessicher, hoffte mit dem Hinweis auf ein drohendes rot-rot-grünes Bündnis wieder in die Offensive zu kommen. Ihr beharrliches Drängen, die SPD möge eine Koalition mit der Linkspartei ausschließen, stieß bei Scholz auf Granit. Unbeirrt von seiner Mission („Ich will Kanzler werden“) verwies er zwar auf Differenzen mit den SED-Nachfolgern, vermied aber jede Festlegung. 

Stattdessen schmeichelte er FDP-Chef Christian Lindner. Nach „sehr vertraulichen Gesprächen“ wisse er, „man kann sich auf ihn verlassen“. Auch der Ober-Liberale hält nichts von „Ausschließeritis“, widersetzte sich der Aufforderung der Union, einer Ampel-Koalition mit SPD und Grünen eine Absage zu erteilen. Trotz fundamentaler Unterschiede. Für den Möchtegern-Bundesfinanzminister wären höhere Steuern „Sabotage am Aufschwung“. Und überhaupt: „Eine Linksverschiebung wird es mit uns nicht geben“. Lange hatte der Laschet-Freund auf den CDU-Kanzlerkandidaten gesetzt, der sicher den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten werde. Später drehte er bei, nannte die Umfrage-Schwäche der Union „überraschend“. 

Einer Fehleinschätzung unterlagen auch Laschet und Söder, die lange Zeit Baerbock als Hauptkontrahentin der Union ausgemacht hatten. Bis sich Scholz in den Umfragen nach vorne und seine Partei nach hinten schob. Trotz linker Verstaatlichungsphantasien der SPD-Parteichefin Saskia Esken, trotz unbequemer Fragen noch Anfang der Woche im Finanzausschuß des Bundestags zur Geldwäschebekämpfung – der „Scholzomat“ blieb unbeirrt auf der Siegerstraße, zumindest in den Umfragen. 

Was allerdings keinen Freifahrtschein ins Kanzleramt bedeutet. Kurt Georg Kiesinger (CDU) mußte 1969 dem zweitplazierten Willy Brandt (SPD) weichen, der unversehens eine Koalition mit der FDP gebildet hatte. Ganz zu schweigen von Helmut Kohl (CDU), der Helmut Schmidt (SPD) 1976 trotz sagenhafter 48,6 Prozent nicht aus der Regierungszentrale vertreiben konnte. Worauf Lindner den „Kanzlerkandidaten Scholz“ in der kürzlichen Sondersitzung des Bundestags demonstrativ hingewiesen hatte.

Acht fraktionslose Parlamentarier nehmen Abschied vom Bundestag

Der AfD kam in diesem Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle zu, zumindest in der medialen Wahrnehmung. Denn alle Parteien hatten reflexartig eine Koalition, sogar Gespräche mit der derzeit größten Oppositionspartei im Bundestag ausgeschlossen. Und auch Skandalisierungspotential wurde von den Medien nicht ausgemacht, im Gegenteil. Anfang der Woche gab die Staatsanwaltschaft Konstanz die Einstellung des Strafverfahrens gegen AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Parteiengesetz bekannt. Daß die AfD-Führung etwa auf deutlich steigende Verbraucherpreise hinwies und Nachteile für Ungeimpfte anprangerte, ging oft unter in der Nachrichtenflut. Die Themen innere Sicherheit und Islamisierung spielten kaum eine Rolle, stattdessen war viel vom Klimawandel die Rede. „Wir haben es wirklich schwer, an den Normalbürger heranzukommen“, bilanzierte der niedersächsische Spitzenkandidat Joachim Wundrak. „Da werden wir noch hart arbeiten müssen.“

Der frühere Generalleutnant zieht bereits vor seinem Einzug in den Bundestag einige Aufmerksamkeit auf sich. Am Fliegerhorst Wunstorf, seinem früheren Arbeitsplatz, genießt er bis heute hohes Ansehen, auch bei den örtlichen CDU-Funktionären, wie der JUNGEN FREIHEIT versichert wurde. Gehör verschaffen dürfte sich auch FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der neben seiner früheren parlamentarischen Erfahrung im Bundestag  jetzt zusätzlich auf Regierungsexpertise in Rheinland-Pfalz verweisen kann. Ausscheiden nach fast vier Jahrzehnten wird hingegen Hermann Otto Solms, das FDP-Urgestein, das die Sitznachbarn im Plenum, die AfD-Abgeordneten, stets kollegial behandelt habe. Eher unfreiwillig Abschied nehmen müssen acht fraktionslose Parlamentarier, darunter die einstige AfD-Chefin Frauke Petry, die 2017 vergeblich auf eine Spaltung der Fraktion gehofft hatte.