© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Mordaufruf im Stil der RAF
Linksradikale Solidaritätsdemonstration für Angeklagte Lina E.: Roter Straßenterror kann stundenlang durch Leipzig ziehen. Und die Polizei greift nicht ein
Martina Meckelein

Die Banner und Plakate strotzen vor Haß, Gewalt und Mordaufrufen. Ein Vorschreier kreischt ins Megaphon: „Staat, Nation, Kapital“, und die Menge blökt: „Scheiße!“ oder: „Nie, nie, nie wieder Deutschland!“ und natürlich „Bullenschweine raus aus den Kiezen“. Aber es ist überhaupt kein so apostrophierter Polizeibeamter zu sehen – weit und breit nicht. Eine der größten linksextremistischen Demonstrationen wälzt sich durch die Leipziger Innenstadt. Und die Linken machen unverhohlen klar: Das ist ein Angriff auf die Gesellschaft. Schwarzvermummte werfen Molotowcocktails, Steine, Flaschen und Böller. Sie bedrohen Passanten. Eintausend Beamte aus Sachsen und verschiedenen Bundesländern sollen für die Sicherheit der Stadt sorgen – gegen 5.000 Autonome und Linksextremisten. Der Vorwurf vieler Coronagegner und vieler Pegida-Demonstranten, daß der Staat mit zweierlei Maß messe, scheint an diesem Tag von der Leipziger Politik und Polizei bestätigt zu werden. Doch ist das nur reines Versagen oder Kalkül?

13 Uhr Johannisplatz, Leipziger Innenstadt. Grauer Himmel, die Luft ist feucht, aber nicht kalt. Seit Wochen hat ein Bündnis „Wir sind alle Antifaschist:innen – Wir sind alle LinX“, das selbst Teil der linksradikalen Szene oder immerhin gut mit ihr vernetzt ist, im Internet nach Leipzig geladen. Anmelderin der Demonstration ist die Leipziger Linken-Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel (43). Die Frau ist in der linken Blase ihrer Heimatstadt populär. Kritiker sehen sie hingegen als geistige und vor allem finanzielle und logistische Kraft hinter den Linksterroristen. Langsam füllt sich der Johannisplatz mit schwarzgekleideten Gestalten. Junge dicke Frauen mit zerrissenen Netzstrümpfen und Kapuzenpullis. Hinter den Arkaden des Grassi-Museums ziehen sich junge Männer, die eben noch wohlfrisierte dunkelblonde Haare und rote Nike-Sportjacken trugen, um. Zu „Wechselkleidung“ war im Internet geraten worden. Auch sie verwandeln sich in entpersonalisierte schwarzuniformierte Gestalten. Viele tragen Regenschirme in den Hosentaschen, ihre Schuhe sind mit schwarzer Folie abgeklebt, um die Schriftzüge der Marke zu verdecken und so die Identifizierung zu erschweren. Der Maskenpflicht wird vorbildlich nachgekommen.

Lina E. sitzt im selben Gefängnis ein wie Beate Zschäpe vom NSU

Die Zeit vergeht, doch der angekündigte Beginn bei 14 Uhr verzögert sich. Zwischendurch wird vom Lautsprecherwagen ein Telefonmitschnitt vorgespielt. Die Mutter von Lina E. (26) spricht. Lina E. ist die Frau, derentwegen die meisten der Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet, aus Hamburg, Chemnitz, München, Freiburg oder Berlin angereist sind. Am 5. November 2020 war die damals 25jährige in Leipzig-Connewitz verhaftet worden. Die junge Frau wurde in Begleitung von Polizeibeamten im Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen. Das Foto, das sie beim Aussteigen mit brünetten langen Haaren, schwarzer Strumpfhose, Minirock, Nike-Turnschuhen und rotlackierten Fingernägeln zeigt, sorgte für Aufsehen. So sexy hatte sich wohl niemand eine mutmaßliche Kommandoführerin einer linksextremistischen Schlägertruppe vorgestellt.

Seit diesem Monat wird gegen sie und drei andere Bandenmitglieder vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Dresden verhandelt (JF 38/21). Der Generalbundesanwalt wirft ihr nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung vor. „Meine Tochter sitzt seit zehn Monaten in U-Haft“, jammert nun deren Mutter, die Mitglied der Roten Hilfe sein soll, wie übrigens auch Nagel, aus dem Lautsprecher. „Empörend finde ich die hetzerischen, sexistischen und menschenverachtenden Inhalte einzelner Pressehäuser.“

Was die Mutter vergißt zu erwähnen ist folgendes: Ihrer Tochter und den anderen Angeklagten werden mindestens sechs Überfälle vorgeworfen, bei denen zwischen 2018 und 2020 insgesamt 13 Menschen verletzt wurden. Die Angriffe seien „methodisch, organisiert und professionell“ durchgeführt worden. Viele der angeblich rechtsextremen Opfer seien mit Fäusten, aber auch Teleskopschlagstöcken, Hämmern und Stangen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden. „Free Lina“ fordern die Linken in Leipzig mit einem Demo-Transparent, darunter steht: „Solidarität ist der Hammer“ – eine Anspielung auf die bevorzugte Waffe, mit der Lina E. gegen ihre Opfer vorgegangen sein soll. Die JF sprach im Juni mit einem der Opfer und berichtete (JF 24/21).

Empörend finden die linken Redner ebenfalls, daß Lina E. und das letzte überlebende Mitglied des NSU-Trios, Beate Zschäpe, gemeinsam im Gefängnis in Chemnitz sitzen. Es gibt nur ein Frauengefängnis in Sachsen. Und warum sollte die Jeanne d’Arc der Antifa besser behandelt werden als die Ikone des Rechtsterrorismus, über die die Bild-Zeitung einmal titelte: „Der Teufel hat sich schick gemacht“. Lina E. schrieb ihre Bachelorarbeit über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU).

Um 15.10 Uhr knallt endlich ein Böller, blauer Qualm steigt gen Himmel, das Signal zum Start des Marsches. Die Extremisten nehmen nicht nur die gesamte Fahrbahnbreite, sondern auch die Fußgängerwege und teils die Parks temporär in Besitz. Der Verkehr kommt zum Erliegen. Der Schwarze Block hält Seitenbanner hoch und spannt die Regenschirme gegen Fotografen auf. Zumal auf ein weißes Laken mit schwarzer Schrift haben es die Lichtbildner abgesehen: „Dirk Münster, bald ist er aus Dein Traum, dann liegst Du im Kofferraum.“ Der ungelenke Reim meint Dirk Münster, den Chef des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums am Landeskriminalamt (PTAZ) der sächsischen Polizei. Der Kofferraum spielt natürlich auf die Auffindesituation des 1977 von der Roten Armee Fraktion (RAF) ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer an. Selten haben sich Linksextremisten so offensichtlich mit den Mordbrigaden der RAF identifiziert.

Münster ist das personifizierte Feindbild der Linken. Ihm untersteht nicht nur die Soko Rex mit 45 Ermittlern, die gegen rechtsextremistisch motivierte Kriminalität ermittelt, sondern auch die Soko LinX. Diese nahm am 1. Dezember 2019 mit offiziell 25 Mitarbeitern die Arbeit auf. Dem Focus gab Dirk Münster Ende vergangenen Jahres allerdings ein Interview, in dem er ausführte: „Mittlerweile ist es so, daß die Zahl linker Gewalttaten in Sachsen deutlich höher ist als die Zahl der rechten Gewalttaten.“ So habe die Polizei im Jahr 2019 insgesamt 119 Gewaltdelikte von links registriert, von rechts waren es 70.

2020 hat sich dieser Trend Münster zufolge noch einmal verstärkt. So seien bis Ende Oktober in Sachsen 150 linke Gewaltdelikte gezählt worden, von rechts 54, berichtete das Magazin damals.

Laut aktuellem sächsischen Verfassungsschutzbericht 2020 sank zwar die Zahl der Linksextremisten von 2018 auf 2019 um 25 Personen auf 760, allerdings stiegen die Straftaten im selben Zeitraum von 628 auf 1.286 an. Die Personalstärke der Soko LinX soll aufgestockt werden.

Böller und Steine fliegen, Raketen zischen, Flaschen zerspringen

Der Marsch kommt auf seiner Strecke an der Polizeidirektion in der Dimitroffstraße vorbei. Kurz davor gibt es eine Zwischenkundgebung. Die Reihen formieren sich, die Demonstrationsteilnehmer spannen gegen Fotografen die letzten Regenschirme auf. Dann um 16.27 Uhr kracht es. Böller fliegen gegen die Fassade des Präsidiums, Rauchtöpfe brennen, Raketen zischen, und Flaschen zerspringen auf dem Asphalt. In der Ferne marschiert Bereitschaftspolizei im Laufschritt vorbei. Passanten, die entgegenkommen und durch die stinkenden Rauchschwaden eilen, halten sich die Hände vor die Gesichter. Die Augen kneifen sie vor dem beißenden Qualm zusammen. Zwei Männer, offensichtlich Autonome, bepöbeln drei Frauen, die mit ihren Handykameras die Szene filmen. Einer der Frauen versuchen sie das Handy wegzunehmen.

Es geht auf der Karl-Liebknecht-Straße durch die Südvorstadt, dann weiter Richtung Connewitz. Vermummte werfen Pflastersteine gegen die Fenster einer Außenstelle der Deutschen Bundesbank. Ein Mann stürzt auf einen Balkon des Gebäudes, schreit empört: „Was soll das?“ und „Haut ab!“ Die Vermummten unten auf der Straße johlen nur. Sparkasse, Studentenwohnheim, alles wird gesteinigt. Polizei ist nicht zu sehen.

Der letzte Akt am Connewitzer Kreuz. Die Demo ist offiziell um 17.43 Uhr beendet. Doch dann beginnt für die gewaltbereiten Linken die Aftershow-Party. Barrikaden brennen. Die Zurückhaltung der Polizei an diesem Tag wird nur noch von ihrer Pressemitteilung übertroffen: „Nach der Versammlung wurden aufgrund mehrerer brennender Hindernisse auf der Wolfgang-Heinze-Straße Wasserwerfer an das Connewitzer Kreuz, mit dem Ziel des Löschens, herangezogen und bereitgestellt, welche in der Folge mit Gegenständen beworfen wurden. Aus diesem Grund wurden sie folglich auch gegen Personen eingesetzt.“

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) ist empört: „Diese Demonstration war nicht friedlich.“ Nun herrscht auch Katerstimmung bei den Linken in Sachsen: „Gewalt ist für uns kein akzeptables Mittel der politischen Auseinandersetzung“, versichern sie in einer Pressemitteilung. Doch ein paar freischaffende Journalisten, zum Teil szenenah, versuchen das Bild der Polizei wieder ins rechte Licht zu schieben. Sie seien an ihrer Arbeit behindert worden. Die nächste Demo kommt bestimmt.

Foto: Szenen aus der Szene: Der vermummte Schwarze Block mit Pyros hinter Haß-Plakaten am Augustusplatz (li.); die Leipziger Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (u.); auf der von Nagel initiierten Demonstration wird dem Kriminaldirektor Dirk Münster unverhüllt mit Mord gedroht – von einer „Hammerbande“, eine Anspielung auf die Angeklagte Lina E. Münster werde bald „im Kofferraum liegen“ (u. li.); auf die Polizeidirektion Leipzig werden aus dem Zug heraus Pyrotechnik und Farbbeutel geworfen.