© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Das „Ehe für alle“-Lager jubelt schon
Schweiz: Wenige Tage vor der Abstimmung scheint diese schon gelaufen
Curd-Torsten Weick

Knapp acht Jahre ist es her, daß die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP) die „Ehe für alle“ auf die politische Agenda brachte. „Natürlich hat ein Lern- und Denkprozeß stattgefunden“, sagte Bertschy im Gespräch mit dem Nachrichtenportal Nau, nachdem der Nationalrat am 11. Juni 2020 mit 136 zu 48 Stimmen bei neun Enthaltungen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sowie den Zugang zur Samenspende für lesbische Ehepaare freigemacht hatte. Dies hätte schon viel früher stattfinden können, denn es „gebe keine rationalen Gründe gegen Gleichberechtigung auch auf dieser Ebene, so die Grünliberale.

Am 27. April 2021 reichte dann ein überparteiliches Komitee mit Vertretern vor allem aus der Schweizerischen Volkspartei und Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) 61.027 gültige Unterschriften ein – 50.000 gültige Unterschriften sind nötig – für ein Referendum ein. Die Samenspende für „Lesben-Paare“ sei „rechtlich und moralisch bedenklich“. Das Kindeswohl bliebe auf der Strecke, so die Kritiker. Die SVP verweist hier auf das im Jahr 2007 geschaffene Partnerschaftsgesetz, das nicht-heterosexuelle Partnerschaften rechtlich absichere.  

SVP entsetzt über „gewaltige Propagandawalze“ 

Nun dürfen die Eidgenossen am 26. September darüber abstimmen, ob sie der Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches („Ehe für alle“) annehmen oder ablehnen. Einer aktuellen Umfrage von „20 Minuten“ und „Tamedia“ zufolge sagen derzeit 67 Prozent ja oder eher ja zur „Ehe für alle“. Auf der Pro-Seite gebe es zwei Hauptargumente: „Die Hälfte der Befürworterinnen und Befürworter gibt an, daß Homo- und Bisexualität längst Normalität seien und die Ausweitung der Ehe diese Ungleichbehandlung beende. Knapp ein Drittel ist der Meinung, daß der Staat eine Lebensform nicht einer anderen vorziehen dürfe.“

Im Gespräch mit dem Netzwerk „Network Gay Leadership“ strotzt Daniel Stolz, Co-Präsident des Nationalen Komitees „Ehe für alle“, vor Optimismus: „Ein 60 Prozent plus wäre gut. 70 Prozent plus wäre super. Ich befürchte, es wird knapper.“ Die SVP dagegen zeigt sich angesichts der „gewaltigen Propagandawalze“ des breitgefächerten „Ehe für alle“-Ja-Lagers entsetzt: „Die Stimmung ist aufgeheizt und wer eine abweichende Meinung vertritt, wird von den sogenannten Toleranten teilweise massiv angefeindet. So war es nicht verwunderlich, daß es bei der Abgabe der Unterschriften für das Referendum zu einer Gegendemonstration kam, bei welcher die Berner Kantonspolizei gar 49 Anzeigen aussprechen mußte.“