© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Impfweltmeister zieht das Tempo an
Israel: Trotz einer Impfquote von 78 Prozent steigert die Regierung den Druck auf die Nichtgeimpften / Sorge um explodierende Zahlen
Thorsten Brückner

Die Ansage von Premier Naftali Bennett war eindeutig: „Wer sich nicht impfen läßt, gefährdet seine eigene Gesundheit, die seiner Mitmenschen und die Freiheit eines jeden israelischen Bürgers.“ Und für alle, die die Botschaft nicht verstanden hatten, legte der nationalreligiöse Politiker noch einen drauf: „Von heute an gilt ein neues Gebot: Impfe deinen Vater und deine Mutter, auf daß sie ein langes Leben haben werden.“ 

Doch sind nicht bereits 78 Prozent der Israelis geimpft? Das Land gilt, auch wegen eines noch unter der Vorgängerregierung geschlossenen Vertrags mit Pfizer, als Impfweltmeister. Über drei Millionen Israelis haben bereits die dritte Impfung erhalten. Dennoch explodieren die Zahlen. Am vergangenen Wochenende verzeichnete das 9-Millionen-Einwohner-Land fast 85.000 aktive Fälle, darunter 726 mit schweren Verläufen. Über 90.000 Schüler befanden sich in Quarantäne, weil sie Kontakt zu positiv getesteten Mitschülern hatten. „Unsere Toleranz mit denen, die sich nicht impfen lassen, ist am Ende“, erklärt Bennett. Mit der Ausweitung des „Grünen Passes“ hat das Land den Druck auf Ungeimpfte weiter erhöht. 

Quarantäne-App soll eine bessere Überwachung grantieren

Orte des öffentlichen Lebens wie Restaurants und Cafés dürfen nur mit dem digitalen Paß betreten werden, der Geimpften, Genesenen und Getesteten zur Verfügung steht, wobei die PCR-Tests aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Letztere kosten durchschnittlich 55 Euro. 

Zuletzt weitete Israels Regierung den Grünen Paß auf das Bildungssystem aus. An Schulen in Städten mit hohen Infektionsraten müssen Kinder in den Fernunterricht, wenn nicht mindestens 70 Prozent der Schüler geimpft sind. Lehrer, die sich nicht impfen lassen wollen, müssen sich alle zwei bis drei Tage testen lassen. 

Auch in der Überwachung von Bürgern, die sich in Quarantäne begeben müssen, geht Israel neue Wege. Nachdem die Debatte über elektronische Fußfesseln nicht richtig Fuß fassen konnte, haben sich die Regierungsparteien nun auf eine Quarantäne-App verständigt. Diese soll die Behörden über etwaige Quarantänebrecher informieren und dem Staat erlauben, über Videoanrufe sicherzustellen, daß sich die betreffenden Personen zu Hause isolieren. Offiziell ist die Nutzung der App freiwillig. Wer allerdings nicht einwilligt, kann von den Behörden in ein Quarantänehotel eingewiesen werden.

 Die Kritik der Opposition an Bennetts Corona-Maßnahmen beschränkt sich unterdessen vor allem auf den Vorwurf, zu zögerlich zu handeln. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu bezeichnete seinen früheren Stabschef als eine „Null in Sachen Corona“ und warf ihm vor, seine Erfolge bei der Eindämmung des Virus zu verspielen. 

Die beste Oppositionsarbeit übernimmt die Regierung derweil selbst. Gesundheitsminister Nitzan Horowitz räumte in einem Gespräch mit Innenministerin Ayelet Shaked bei offenem Mikro unfreiwillig ein, daß es für zahlreiche Maßnahmen keine epidemiologische Begründung gebe. „Unser Problem sind die Menschen, die sich nicht impfen lassen“, sagte er auf Shakeds Frage, warum denn auch in Schwimmbädern und der Außengastronomie der „Grüne Paß“ Anwendung findet. 

Zunehmen wird der Druck absehbar auch auf die Regierung Bennett. Mit 61 Mandaten verfügt sie über die geringstmögliche Regierungsmehrheit und wird von ideologisch sehr heterogenen Parteien getragen, die außer ihrer Ablehnung des früheren Premiers Netanjahu fast nichts verbindet.