© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Mit dem Dämon vergeblich ringen
Kino II: „The Many Saints of Newark“ bringt den Mafia-Clan aus der TV-Serie „Die Sopranos“ auf die große Leinwand
Dietmar Mehrens

Gibt es eigentlich einen „Vorfolger“? Oder ist das ein Oxymoron, eine absurde Kombination miteinander unvereinbarer Inhalte? Darüber haben sich die intellektuell anscheinend nur mittelprächtig ausgestatteten Erfinder des englischen Kunstworts „Prequel“ wohl genausowenig Gedanken gemacht wie die von „Homophobie“, die bis heute jede Erklärung dazu schuldig geblieben sind, wer sich da vor seinesgleichen fürchtet und warum. Als „Prequel“, also „Vorfolger“, bezeichnet werden im Film- und Fernsehgeschäft Produktionen, die zeitlich einem bereits bekannten Branchenerzeugnis vorgelagert sind. Das bekannte Erzeugnis ist in diesem Fall die US-Serie „Die Sopranos“. Darin ging es um einen in der Mittelmäßigkeit von Alltagsnöten versinkenden New Yorker Mafiaboß. Um die Jahrtausendwende liefen „Die Sopranos“ mit mäßigem Erfolg im Nachtprogramm des ZDF.

Mäßiger Erfolg droht nun auch bei dem „Vorfolger“, der unter dem pseudo-gewichtigen englischen Originaltitel „The Many Saints of Newark“ in die Kinos kommt. Denn wie in der Serie werden zäh erzählte Familienprobleme nur gelegentlich unterbrochen durch eruptiv auftretende Gewaltszenen. Tony Soprano, in der Serie gespielt von dem 2013 verstorbenen James Gandolfini, ist in Alan Taylors „Prequel“ anfangs noch ein kleiner Junge, der ohne Vater aufwächst (denn der sitzt im Gefängnis) und respektvoll aufblickt zu seinem Onkel Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola). Moltisanti ist das alles überstrahlende Zentralgestirn von „The Many Saints of Newark“; der italienische Familienname „Moltisanti“ bedeutet „viele Heilige“ und erklärt den seltsamen Filmtitel. 

Die Handlung setzt 1967 ein: Moltisanti, ein zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigender Gangster, schlägt sich mit einer rivalisierenden Bande herum. Der elfjährige Tony begleitet ihn eines Tages zum Hafen, wo ein italienisches Dampfschiff angelegt hat, um Moltisantis Vater (Ray Liotta) und dessen bildschöne italienische Braut Giuseppina (Michela De Rossi) von Bord zu lassen. Rasch zeigt sich, daß die blutjunge Italienerin den attraktiven Junior für eine viel bessere Partie hält als seinen Vater. Anstatt nun aber das eine große Familiendrama zu erzählen, das sich aus diesem Beziehungsdreieck ergeben könnte, verliert sich das Drehbuch von David Chase und Lawrence Konner in einem Geflecht von Nebenhandlungen. Die wirken so schlecht miteinander verwoben, als hätte der Vorfolger eigentlich wie sein Nachfolger eine HBO-Serie werden sollen und als sei daraus nichts geworden, weshalb dann ein dreizehnstündiges Epos auf zwei Stunden heruntergekürzt werden mußte.

David Chase erklärt die Filmentstehung allerdings ganz anders: „Larry Konner und ich haben ausgiebig diskutiert, wie sich ein Spielfilm mit Soprano-Bezug von einer Fernsehserie unterscheiden würde. Ein Film folgt üblicherweise dem Modell der Heldenreise, man folgt einer Figur und ihrer Krise und wie sie sie überwindet. So eine Art Film ist dieser nicht. Es ist mehr wie bei einem Ensemble – es gibt nicht nur einen Handlungsstrang.“ 

Mit eher mäßigem Interesse folgt der Zuschauer nun der grobmaschig gestrickten Filmerzählung, in der ohne erkennbare Bindung an die Haupthandlung die Rassenunruhen Ende der sechziger Jahre ins Spiel kommen, Schwerverbrechen unaufgeklärt bleiben und Tony unter dem Eindruck all dieser Ereignisse zum Jüngling heranwächst. Er wird nun – origineller Besetzungscoup – von James Gandolfinis Sohn Michael verkörpert und beginnt wie sein Onkel und sein inzwischen aus der Haft entlassener Vater (Jon Bernthal) erste Untaten zu begehen, die ebenfalls ohne Konsequenzen bleiben. Manches, wie Tonys beginnende Medikamentensucht, ein Zentralthema in „Die Sopranos“, funktioniert als erfreulicher Aha-Effekt für Freunde der Serie. Anderes, wie Moltisantis Ringen mit seinem Dämon und die vergebliche Suche nach moralischem Halt in der katholischen Tradition, kommt viel zu kurz. An die Mafia-Dramen Martin Scorseses reicht Alan Taylors Film somit nicht heran.

Besser als das Drehbuch funktioniert die Musik (Rolling Stones) sowie die hervorragende Bildgestaltung von Kramer Morgenthau, die vor allem die winterlichen Szenen zu stimmungsvollen Zeitporträts macht.

Kinostart ist am 23. September 2021