© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

An jedem Tag ihrer Amtszeit verbrannte Angela Merkel rund eine Milliarde Euro
Die Wertevernichterin
Reiner Osbild

Angela Merkel wird als Trümmerfrau abtreten. Aber keine, die ein kriegszerstörtes Land wiederaufbaute, sondern als Wertevernichterin epochalen Ausmaßes. Die Kanzlerin hat deutsches Volksvermögen in Höhe von 5,8 Billionen Euro verpulvert, das entspricht einer „Burn-Rate“ von 995 Millionen Euro pro Tag ihrer Amtszeit, historisch einmalig in Friedenszeiten. Jedem Deutschen, vom Baby bis zum Greis, hat sie fast 70.000 Euro weggenommen, also einen BMW X5. Jeder Erwerbstätige zahlt eine Sondersteuer von 5,2 Nettomonatslöhnen.

Um eine Bilanz der Ära Merkel ziehen zu können, sind drei Schritte erforderlich. Erstens, welche relevanten Entscheidungen müssen ihren Kabinetten zugerechnet werden; zweitens, wie hoch sind die (voraussichtlichen) Kosten und drittens, kann der Schaden durch spätere Regierungen noch eingedämmt werden?

Beginnen wir mit den zentralen Weichenstellungen Merkels. Die Energiewende wurde zwar schon von ihren Vorgängern eingeleitet, allerdings von ihr forciert mit dem beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie ab 2011. Die Euro-Rettungspolitik und die Phase der Niedrigzinsen ab 2010 hätten ohne ihre (stillschweigende) Zustimmung so nie stattfinden können. Ebenso steht sie für die Kosten der Grenzöffnung ab 2015. Schließlich verantwortet sie den Einstieg in die Schuldenunion mit dem rund 800 Milliarden Euro umfassenden Next-Generation-Paket der EU; sie hat überdies stark steigende Zahlungen Deutschlands in den EU-Haushalt zu verantworten.

In ihre Ära fallen Weichenstellungen für den Kohleausstieg, den Ausstieg aus dem Verbrennermotor und damit verbunden das Aus für die deutsche Automobilindustrie, wie wir sie kennen. Subventionierten Investitionen in erneuerbare Energien stehen Abschreibungen auf hocheffiziente fossile Anlagen gegenüber. Stromintensive Branchen drohen abzuwandern.

Diese Langzeiteffekte sind schwer zu quantifizieren, wir haben an dieser Stelle darauf verzichtet. Aber auch ohne sie ist die Bilanz der Kanzlerin niederschmetternd.

Fangen wir mit der Europapolitik an. Die früheren Hilfspakete an Griechenland und andere Staaten, die Verpflichtungen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und eventuelle Abschreibungen auf Wertminderungen im Anleiheportfolio der Europäischen Zentralbank dürften zusammen in der Größenordnung von 500 Milliarden Euro liegen.

Weit schädlicher ist die Niedrigzinspolitik, die die EZB seit 2010 fährt. Betrug der Hauptrefinanzierungssatz bei Merkels Amtsantritt noch rund zwei Prozent, so ist er mittlerweile auf null gesunken. Auch die Durchschnittsrenditen auf Staatsanleihen sind laut Bundesbank um rund zwei Prozentpunkte gefallen, nicht zuletzt wegen aggressiver Markteingriffe der EZB. Während die Schuldner vor allem im Süden Europas massiv entlastet wurden, mußten die Sparer kräftig bluten.

In der Tat stehen deutschen Altersvorsorgesystemen, ob betrieblich oder privat, kaum noch renditestarke öffentliche Euroanleihen für ihre Anlagestrategie zur Verfügung. Die Deutsche Aktuarvereinigung schätzt den Zinsverlust für deutsche Kunden in zentralen Versicherungszweigen auf 100 bis 125 Milliarden Euro allein für die fünf Jahre seit 2015. Sie betrachtet jedoch zeitlich und sachlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, weil sie nur die Auswirkungen des Offenmarktprogramms PEPP auf einige Teile der Versicherungswirtschaft modellierte, wobei sie einen moderaten Zinseffekt von minus 1,47 Prozent unterstellte. Nimmt man indes das gesamte zinstragende Geldvermögen der Privathaushalte ins Visier, das im Laufe der Ära Merkel von etwa 3,5 auf knapp 5 Billionen Euro stieg, zieht man die Kreditverbindlichkeiten ab und wendet man die erwähnten zwei Prozent Zinsverlust auf das so errechnete Nettogeldvermögen an, dann ergeben sich bis 2025 erwartete Zinseinbußen, ohne Berücksichtigung der Inflation, in Höhe von 1,3 Billionen Euro.

Die Targetsalden, Stand Ende Juli 1.025 Milliarden Euro, sind Ausgleichsforderungen in der Bilanz der deutschen Bundesbank, die entstehen, wenn andere Euroländer sich selber das Geld drucken, um deutsche Produkte und Vermögensgüter zu kaufen. Sie sind niedrig verzinst, nicht besichert, haben keine Fälligkeit. Sie stellen eine reine buchhalterische Forderung der Bundesbank dar, der kein realer Gegenwert entspricht. Wir können uns buchstäblich nichts dafür kaufen. Im Falle eines Scheiterns der Währungsunion muß diese Position zu Lasten des Bundeshaushalts abgeschrieben werden. Genaugenommen hätte man schon damit anfangen müssen.

Merkel hat dem Aufbau der riesigen Targetsalden nicht nur tatenlos zugesehen, sondern auch auf ihre Besicherung verzichtet. Bevor sich die Chinesen den Hafen von Piräus einverleibten, hatte es Finanzminister Wolfgang Schäuble versäumt, diesen als Sicherheit für die riesigen Hilfsleistungen Deutschlands einzufordern. Jeder Sparkassenvorstand käme ob solch leichtfertigen Finanzgebarens hinter Gitter. Merkel jedoch erlaubte sich den Luxus, ausgewiesenen Finanzamateuren wie Schäuble und Olaf Scholz, dem Kanzlerkandidaten der SPD, das Bundesfinanzministerium anzuvertrauen, wofür sie die volle Verantwortung trägt.

Die Kosten der sogenannten Energiewende sind ebenfalls gigantisch, der Nutzen zweifelhaft. Die Schätzungen hängen sehr stark davon ab, wie weit der prognostizierte Zeithorizont reicht. So erwartet die Monopolkommission bis 2025 Kosten von 520 Milliarden Euro. Im Hinblick auf den Zeitraum bis 2030 nannte Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem FAZ-Interview Kosten von einer Billion Euro. Auf der Basis makroökonomischer Modelle beziffert der dänische Forscher Björn Lomborg die jährlichen Durchschnittskosten auf 43 Milliarden Euro. Rechnet man dies auf 20, 30 Jahre hoch, dann kommt man in etwa auf die Altmaier-Billion. Dafür „gewinnen“ wir laut Lomborg eine Hinauszögerung der Erderwärmung um weniger als 18 Tage.

Der Physiker Joachim Lüdecke beziffert die Gesamtkosten schon zum Jahr 2022 auf über 1,2 Billionen Euro; in Langzeitprognosen wie der im JF-TV-Dokumentarfilm „Mythos Klimawende“ von Marco Pino werden Größenordnungen von 6,7 Billionen Euro aufgerufen (JF 32/21). Da durch politische Eingriffe diese Summe in einem solch langen Zeitraum korrigiert werden kann, wollen wir uns auf die kürzere Sicht fokussieren und halten eine Zahl von 1,1 bis 1,2 Billionen Euro für durchaus realistisch.

Die fiskalische Wirkung der Migrationspolitik ist ebenfalls entmutigend. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, einst sozialpolitischer Berater der Bundesregierung, schätzt bei zwei Millionen Einwanderern bis 2020 die Kosten auf netto 900 Milliarden Euro. Dabei werden die lebenszeitlichen Einzahlungen der Zugewanderten an Steuern und Sozialbeiträgen saldiert mit den Auszahlungen aus staatlichen Kassen. Die Schätzungen beruhen allerdings auf eher optimistischen Annahmen zur Arbeitsmarktpartizipation, berücksichtigt man die geringe sprachliche, schulische und berufliche Kompetenz der meisten Zugewanderten sowie den coronabedingten Wegfall vieler einfacher Stellen. Weitere Einwanderung einschließlich Familiennachzug, eine schleppende Abschiebepraxis sowie eine steigende Abwanderung hochqualifizierter Deutscher wird die „fiskalischen“ Kosten auf über eine Billion Euro treiben.

Hinzu kommt, daß in vielen Bereichen des öffentlichen Sektors, etwa Polizei, öffentliche Verwaltung und Gesundheitswesen, zahlreiche Mehrkosten entstehen, die ebenfalls durch Steuergelder oder Sozialbeiträge gedeckt werden müssen. Alles in allem wird für die „schon länger hier Lebenden“ ein Kostenbudget von rund 1,3 Billionen Euro, gerechnet über eine Generation, eher die Untergrenze markieren.

Das Corona-Hilfspaket, das faktisch eine vertragswidrige Schuldenfinanzierung auf EU-Ebene festschreibt, ist ein weiterer Vermögenstransfer ans Ausland. Das Konstrukt ist intransparent und könnte dank des „Kleingedruckten“ noch böse Überraschungen für den deutschen Steuerzahler in sich bergen (JF 18/21). Wenn man die Höhe der deutschen Nettobelastung unter Berücksichtigung der direkten Schenkungen an die Nachbarländer, des Rückflusses von Geldern nach Deutschland sowie der optimistischen Annahme ausbleibender Zahlungsausfälle unter den EU-Nachbarn berechnet, so kommt man auf eine Verschiebemasse von circa 330 Milliarden Euro.

Im nächsten EU-Haushalt übernimmt Deutschland fast im Alleingang die durch den Brexit entfallenden Zahlungen; daraus errechnen sich Bruttozahlungen von insgesamt rund 300 Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren; netto rechnen wir mit einer Belastung von 210 Milliarden Euro. Allein das Abenteuer Europa kostet uns durch Merkel rund 3,4 Billionen Euro.

Zum Vergleich: Das deutsche Nettoauslandsvermögen, das vorbehaltlich einiger Wertberichtigungen etwa den gesamten aufsummierten Exportüberschüssen seit 1949 entspricht, beträgt aktuell 2,6 Billionen Euro. Wegen „Mutti“ droht, daß wir es binnen weniger Jahre verspielen; dies in einer Phase, in der wir das Auslandsvermögen gebraucht hätten, um die demographiebedingte Schieflage unserer Altersvorsorge abzufedern.

Es gilt ein paar Einschränkungen zu erwähnen. Einige der Kosten enthalten Umverteilungselemente, so beim Vermögenstransfer von Stromkunden an die Besitzer von Solardächern und Windkraftparks. Die Opportunitätskosten, also der entgangene Nutzen eines sinnvolleren Einsatzes all dieser Gelder, wurden kaum thematisiert: Bei den schnellen Glasfaseranschlüssen etwa liegt Deutschland mit zwei Prozent der Breitbandkunden abgeschlagen hinter Japan und Südkorea mit jeweils 76 Prozent. Es gibt Wechselwirkungen zwischen EU-Hilfsgeldern und Targetsalden. Zahlungen an Migranten haben kurzfristig positiv gewirkt, da sie einen konjunkturellen Nachfrageimpuls auslösten. Schließlich sind Modellschätzungen auch deshalb mit Unsicherheit behaftet, weil sie durch Handlungen nachfolgender Regierungen beeinflußt werden können.

Dennoch: Während die Kanzlerin von der Weltenrettung träumend auf Wolke 7 entschwebt, werden die Folgen des Desasters langsam sichtbar. Deutschland ist das Schalke 04 der Weltwirtschaft. Verwöhnt vom Erfolg übersah der Club die Risse im Gebälk, ehe der Absturz in die Zweite Liga erfolgte. Wir kommen!






Prof. Dr. Reiner Osbild, Jahrgang 1962, ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Emden/Leer. Von 2012 bis 2015 lehrte er VWL an der privat geführten SRH-Hochschule Heidelberg. 2010/11 war er Gastprofessor in Dalian (China). Zuvor arbeitete er im Kapitalmarktgeschäft großer Geldhäuser. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über bürokratische Lenkungsphantasien („Kleiner Staat ganz groß“, JF 28/21).

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einem EU-Gipfel in Brüssel, Juni 2021: Deutsches Volksvermögen von 5,8 Billionen Euro verpulvert