© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Waldsterben mit historischen Wurzeln
Abgestorbene „Fichten-Monokulturen“ in den deutschen Mittelgebirgen gehen auch auf den massiven Kahlschlag der Alliierten nach 1945 zurück
Bernd Rademacher

Im Zusammenhang mit dem teils desolaten Zustand des deutschen Waldes, der Oberharz gilt hier als besonders krasses Beispiel, werden immer wieder „die Fichten-Monokulturen“ kritisiert und als Mitschuldige ausgemacht. Tatsächlich haben sich diese Fichtenbestände als sehr anfällig für Windwurf, Trockenheit und Borkenkäfer erwiesen. Doch warum hat man diese Fichtenwälder überhaupt gepflanzt? Aus kurzsichtigem Profitstreben? Die Ursache liegt im Jahr 1945.

Auf der Potsdamer Konferenz der Siegermächte beschlossen die vier Alliierten weitreichende Demontagen zur Befriedigung ihrer Reparationsforderungen an Deutschland. Diese erfolgten nicht nur durch Abbau von Industrieanlagen, sondern auch durch die Ausfuhr von Rohstoffen – zum Beispiel Holz. Allein die Briten schlugen in ihrer Besatzungszone mit den neu gegründeten Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein rund 50 Millionen Festmeter. Viele tausend Hektar Wald wurden abgeholzt und blieben als kahle Flächen zurück.

Die eigens gegründete „British Timber Productions Agency“ zahlte für die Rodung zuerst keine, später nur eine geringe Entschädigung. Neben den Engländern bedienten sich auch Holländer und Belgier in ihren Grenzregionen großzügig im deutschen Wald. Für den Wiederaufbau bedeutete der „Engländerschlag“ eine Katastrophe. Teilweise wurden Dachkomponenten wie Sparren und Balken wegen des Mangels an Bauholz aus Beton gegossen.

Doch noch schlimmer als das Handwerk traf es Förster und Forstbesitzer. Sie befürchteten starke Bodenerosionen und eine nachhaltige Störung des Grundwasserhaushaltes. Als Folge davon erwartete man eine Ausbreitung nährstoffarmer Heideflächen bis hin zu Wanderdünen. Manche Zeitgenossen sahen das Ende für Waldbau und Forstwirtschaft gekommen. Verständlich: Der Anblick ganzer abgeholzter Wälder muß für viele Menschen ein tiefer Schock gewesen sein.

Um sich gegen das Rodungs-Regime der britischen Militärregierung, die ihre Forderung teilweise harsch durchsetzte, zu wehren und möglichst weitere Kahlschläge zu verhindern, schlossen sich betroffene Eigentümer und Waldbauexperten mitten im Hungerwinter 1947 zur „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ zusammen. Im Vordergrund der Initiative stand die Organisation einer zügigen Wiederaufforstung. Doch Laubbäume wie Buchen und Eichen standen als Pflanzgut kaum zur Verfügung und ihr Wachstum würde sehr lange Zeit beanspruchen. Junge Kiefern und vor allem Fichten dagegen waren vorhanden und versprachen einen schnellen Wuchs. Man war dabei gezwungen, in Kauf zu nehmen, daß diese Baumgeneration später zeitgleich hiebreif sein würde. So entstanden vor allem in Nordwestdeutschland jene Forstkulturen, die später als „Fichten-Monokulturen“ einen schlechten Namen bekamen. Dabei beeinträchtigte die Widerstandskraft gegen Schädlinge, daß sich heute alle Bäume im gleichen fortgeschrittenen Alter nur wenige Jahre vor der Hiebreife befinden. 

Foto: Wanderer im Harz: Von den Fichtenwäldern blieb nur noch eine Mondlandschaft