© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Ziehen, Zuppeln und Gezerre
Das erfolgreiche Sommertraining wirft eine Frage auf: Wohin mit den strammen Beinen?
Maik Stüssel

Seit mehreren Wochen sind die Ertüchtigungshallen der Bundesrepublik wieder für Diskopumper, Eisenfanatiker und blutige Anfänger geöffnet. Es werden Gewichte gedrückt, gezogen, gehoben, gerissen, gecurlt und gebeugt. Es wird sich im Spiegel betrachtet, um herauszufinden welche Muskelgruppen noch unterentwickelt sind und vermehrt Hingabe in Form von aufgewendeten frühen Morgenstunden, Schweiß, dem korrekten kalorischen Treibstoff und literweise Protein-Shakes benötigen.

Für all jene, die den Muskelschmieden nicht hin und wieder fernbleiben, sondern sie mit regelmäßiger Anwesenheit beehren oder sich notfalls im hauseigenen Kraftraum quälen, drängt sich jedoch mit zunehmender Muskelmasse ein immer größer werdendes Problem auf: passende Kleidung in Form von Hosen, Oberteilen und Anzügen zu finden.

Hühnerbeinchen der Hose wegen: Das muß nicht sein!

Sobald die körperbetont geschnittene Jeans oder die klassische Chinohose in der Kleideranprobe über das Knie gezogen werden, ist für den fleißig die Beine Trainierenden Schluß. Es wird vergeblich gezogen, gezuppelt und gezerrt. Das gleiche gilt ab einem gewissen Grad auch für weiter konzipierte Paßformen. Wenn allen Erwartungen zum Trotz doch endlich eine Hose gefunden wurde, welche den durch schwere Kniebeugen gestählten Schenkeln halbwegs standhalten kann, ohne den Eindruck zu erwecken, bei der geringsten Bewegung lautstark zu reißen, ist diese Comfort-Fit-Form zumeist im Bereich der Taille zu weit und in einer ästhetisch eher weniger ansprechenden Form geschnitten, die den Ergebnissen des harten Beintrainings nicht ansatzweise gerecht wird. 

Dies soll jedoch noch lange nicht bedeuten, zum Poserpumper degenerieren zu müssen und ab sofort nur noch Brust und Bizeps zu trainieren, um mit den verkümmerten Hühnerschenkelchen in Slim-Fit oder gar Skinny-Fit-Jeans hineinzuschlüpfen und gleichzeitig die aufgepumpten Arme in hautenge und beinahe zerberstende Hemden zu quetschen. Es besteht Hoffnung in Form von jungen und ambitionierten Unternehmen, die der zu engen und schlecht passenden Hose den Kampf angesagt haben und es den Beine-Trainierenden ermöglicht, sich stilsicher zu kleiden.

So verspricht zum Beispiel die 2014 gegründete Marke Aesparel „Jeans & Alltagskleidung, die deine sportliche Figur unterstreicht, perfekt paßt, super bequem ist und lange hält“. Die Paßform „Athletic Fit“ soll hierbei den perfekten Schnitt für den sportlichen Körperbau bieten. Zum Markensortiment gehören neben Jeans auch Chinohosen, Cargo-Shorts sowie Oberbekleidung in Form von T-Shirts, Sweatshirts und Hemden, auf die unter anderem Bodybuilder Tim Budesheim und Strongman Dennis Kohlruss schwören. Das Angebot beschränkt sich jedoch nicht nur auf breitschultrige Männer mit baumstammartigen Beinen, sondern bietet auch sportlich gebauten Frauen die Möglichkeit, Jeans, Jeans-Shorts und verschiedenste Oberteile zu erwerben, die die jahrelange harte Arbeit im Studio umgarnen und gekonnt in Szene setzen.

Darüber hinaus bieten zunehmend viele Ateliers nicht nur die Anfertigung von Maßanzügen an, sondern auch die Maßanfertigung von Jeans und weiterer Alltagskleidung. Nachdem zumeist online ein Termin zur Beratung und Maßnahme vereinbart wurde, kann der Kunde je nach Zeitaufwand aufgrund von Extrawünschen und Material bald mit einem passenden Produkt rechnen. 

Die „perfekte“ Pumperhose im Netz zusammenstellen

Anbieter wie „Tailor Store“ bieten die Möglichkeit, sich ganz bequem von zu Hause aus das Beinkleid zusammenzustellen. Hierbei kann der Kunde komplett individuell über Art, Stoff, Seiten- und Gesäßtasche, Hosenschlitz, Knöpfe sowie Monogramme entscheiden und seiner Kreativität  und Individualität freien Lauf lassen. Falls der geneigte Käufer sich beim eigenständigen Maßnehmen nicht hundertprozentig sicher ist oder das erste maßgeschneiderte Kleidungsstück nicht ideal passen sollte, verschafft der jeweilige Kundenservice Abhilfe. Wer nach so viel Sonderanfertigung mit exorbitanten Preisen rechnet, sei beruhigt. Je nach Anbieter, Hosenart, Material und individuellen Wünschen variieren die Preise zwischen 69 und 129 Euro und sind somit nicht bedeutend teurer als ihre nicht maßgeschneiderten Gegenstücke der gängigen Kaufhäuser und Versandhändler, insbesondere im Hinblick auf nachträgliche Anpassungsarbeit durch hauseigene oder auswertige Schneiderlein. 

Dem schneidigen Auftreten der Eisenathleten steht somit bis auf die erneute Schließung der Muskelschmieden und der mangelnden Disziplin hinsichtlich des Trainings und der Ernährung nichts mehr im Wege.