© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/21 / 24. September 2021

Kabinenklatsch
Der Lieblingsnachbar
Ronald Berthold

Mit Verlängerungen kennt sich Jérôme Boateng aus. Und wenn es wichtig wurde, hat er sie gewonnen – wie im WM-Finale 2014. Aber ob ihm dieses Glück auch im Privatleben hold ist? Der Prozeß gegen ihn wegen Körperverletzung und Beleidigung seiner damaligen Lebensgefährtin geht in die Verlängerung. Sowohl der frühere Nationalverteidiger als auch Staatsanwaltschaft und Nebenklage gehen in Berufung. Demnächst muß das Landgericht München entscheiden, ob der als herrisch bekannte Boateng freigesprochen oder sogar zu einer höheren Strafe verurteilt wird. Es ist ein riskantes Spiel. All-in, wie die Poker-Zocker sagen.

Der einst glänzende Ruf, den der dunkelhäutige Berliner nach Alexander Gaulands Aussage, Boateng wollten nicht alle als Nachbarn haben, genoß, ist aber ohnehin ruiniert. Zu viel Verstörendes ist im Zusammenhang mit dem Verfahren auf den Tisch gekommen. Und dann ist da noch der tragische Selbstmord seiner späteren Freundin, zu dem wohl auch Boatengs Verhalten beigetragen haben könnte. Selbst sein Halbbruder Kevin-Prince sagt, er will wegen Jérômes Umgang mit Frauen keinen Kontakt mehr.

Ein Freispruch würde dem nun bei Lyon spielenden Kicker die 1,8 Millionen Euro Geldstrafe ersparen und ihm einen besseren Ruf verschaffen. Was aber, wenn sich die nächste Instanz die Forderung der Ankläger zu eigen macht? Dann würde es anderthalb Jahre auf Bewährung geben. Nicht nur mit dem Image des „beliebtesten Nachbarn“, das ihm die Gutmenschen nach Gaulands Aussage verpaßt haben, wäre es final vorbei, sondern auch mit der Karriere. Es könnte eine Verlängerung werden, die dem Weltmeister die größte Niederlage seines Lebens beschert.