© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Igor Levit. Der Pianist ist ein Liebling vieler Deutscher, besonders seit Corona. Denn er spielt nicht nur auf einer Klaviatur ...
Virtuose der Hypermoral
Sebastian Hennig

Igor kann Klavier spielen, unzweifelhaft. Weniger virtuos allerdings variiert er auf der Klaviatur der Hypermoral. Da gibt es für ihn nur schwarzweiß, kein Legato, keine Dämpfung und auch das synkopische Spiel bleibt ihm fremd. Dabei gibt er vor, den großen Kauz des Modern Jazz, Thelonious Monk, zu bewundern, stellt jedoch zugleich fest: „Improvisation ist eine systematische Kunst, die man lange studieren muß.“ Darin versucht er sich jedoch wie ein pianistischer Kaspar Hauser, dessen Teilhabe an der Welt seit dem vierten Lebensjahr auf einen hermetischen Übungsmarathon beschränkt bleibt.

Levit kam 1987 im sowjetischen Gorki zur Welt – während sein ebenso berühmter Kollege Daniil Trifonow 1991 in der Wolgastadt geboren wurde, als sie bereits wieder Nischni Nowgorod hieß. Heute lebt der gefeierte Pianist und Komponist in New York. Im Gegensatz zu seinem rührt Levits Spiel weder von Nachdenken noch Wissen her. Dem Sohn einer Klavierpädagogin ist die Musik nicht das Kondensat einer Lebenserfahrung – sondern sie bleibt etwas Komponiertes. 

Auf Anraten seiner Kölner Imageberater Meiré und Meiré ließ sich der blasse Streber eines Tages einen verwegenen Bartschatten wachsen und begann Obertrikotagen mit der Aufschrift „Love Music Hate Racism“ zu tragen. Doch der Tastenartist bleibt ein braver Streber. Der Komplexität der Partituren ist er feinmotorisch zwar mehr als gewachsen, kaum jedoch der grausamen Unübersichtlichkeit unserer Welt. Und so gerät ihm das Zwitschern auf Twitter immer wieder zu einem Gebell. Seinen eliminatorischen Impetus für das angeblich Gute mußte er sich gar vor laufenden Fernsehkameras vorhalten lassen. 

Zu seiner peinlichsten Performance wurde sein Spiel der „Ode an die Freude“ auf dem Parteitag der Grünen. 

Jüngst findet sich sein Name unter einem offenen Brief, mit dem Prominente einer Journalistin beispringen, die 2014 an antiisraelischen Umzügen teilnahm: „Nemi El-Hassan wird wegen ihrer Herkunft und muslimischen Identität zum Ziel von Haß und Hetze“, behaupten Levit und die anderen. 

Zu seiner peinlichsten Performance – wohl zur peinlichsten seit Wolf Biermanns Klampferei 2014 im Bundestag überhaupt – wurde sein Vortrag von Beethovens „Ode an die Freude“ zum Parteitag der Grünen 2018 in Leipzig. Im Jahr zuvor hatte er diese „Europahymne“ bei der „First Night of the Proms“ in der Londoner Royal Albert Hall gespielt. Seine Corona-Hauskonzerte per Kurznachrichtendienst wurden von Regierungssprecher Steffen Seibert als „die berühmten Hauskonzerte eines Pianisten“ gewürdigt und mündeten im Frühjahr 2020 in ein Gespenster-Konzert im Präsidenten-Schloß Bellevue. Der Kommentator eines Netzbeitrages faßte unbarmherzig zusammen: „Herr Levit weiß alles, kann alles, erklärt allen alles. Er ist das multiple Genie schlechthin. Ach ja, Klavierspielen kann er auch noch. Eine begabte Sumpfblüte unserer Spaß- und Quatsch-Gesellschaft.“

Wer jedoch genauer hinschaut, sieht in dem Mann, der zwischen Klavier und Touchpad die Finger nicht stillhalten kann, die tragische Gestalt unserer Tage. Das Hervorbringen großer Kunst ist häufig von großer Einsamkeit begleitet. Ein anderer Landsmann Levits, Dirigent Kyril Petrenko, hält sich darin besser. Er gibt keine Interviews mehr, denn „Reden kostet nur Zeit“.

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