© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Rote Erfolge
Landtagswahlen: Auch in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern wird die SPD stärkste Kraft
Ronald Berthold

Die Wähler in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben die Regierungskoalitionen in den Landtagen bestätigt. Doch bleiben diese auch im Amt? Beide Abstimmungen hat die SPD gewonnen. Sie kann sich nun die Partner aussuchen und zeigt sich durchaus offen für neue Bündnisse. 

Obwohl die Bundeshauptstadt am Sonntag ihren Ruf als linke Hochburg bestätigt hat, ist die Zukunft von Rot-Grün-Rot alles andere als gewiß. Trotz einer verheerenden Bilanz konnten SPD, Grüne und Linke ihre Mehrheit um weitere zwei Punkte ausbauen. Selbst am Wahltag zeigte sich, daß in Berlin kaum noch etwas funktioniert. Zum Teil mußten die Wahllokale anderthalb Stunden länger öffnen, weil Stimmzettel fehlten und vertauscht worden waren. Zahlreiche Berliner konnten wegen des Chaos gar nicht wählen. Trotzdem stimmten insgesamt 54,3 Prozent für die drei Regierungsparteien. Bei den Sitzen im Abgeordnetenhaus kratzt die Koalition damit wegen des hohen Anteils der „Sonstigen“ (12,4 Prozent) sogar knapp an der Zweidrittelmehrheit.

Doch nach dem gemeinsamen Triumph, der ein bequemes Durchregieren ermöglichen könnte, manifestieren sich Risse vor allem zwischen SPD und Grünen, die bereits im Wahlkampf deutlich zu erkennen waren. Der „grüne Stadtumbau“, den die Ökopartei in den kommenden fünf Jahren vollenden und mit ihm die Hauptstadt zu einer weitgehend autofreien Metropole machen möchte, stößt bei der designierten neuen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf wenig Gegenliebe. Sie setzt sich damit deutlich vom bisherigen Regierungschef und Parteifreund Michael Müller ab, der das Rote Rathaus gegen einen Sitz im Bundestag eintauschte.

Schwer verärgert hat die Genossen auch der überschwengliche Jubel, den die Grünen nach der Prognose am Wahlabend zelebrierten. Auch die erste Hochrechnung zeigte die Partei deutlich vorn. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wähnte sich bereits als neue Regierende Bürgermeisterin. „Wir haben noch zwei Kilometer entfernt gehört, wie die Grünen die Sektflaschen knallen ließen“, schimpft SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Er habe „Respekt“ und „Demut“ vermißt. Der aus dem Westjordanland stammende Politiker kündigte nun an, die SPD werde sich für die Regierungsbildung Zeit nehmen. Heißt: Die Sozialdemokraten wollen die bisherigen Partner zumindest zappeln lassen. Möglich ist auch eine „Deutschland-Koalition“ mit Christdemokraten und Liberalen.

Bereits im Wahlkampf warfen die Grünen Giffey vor, „in Richtung CDU und FDP zu blinken“, weil diese eine autofreie Stadt für Unsinn erklärte und sich auch deutlich gegen die Verstaatlichung von Immobilienkonzernen aussprach. Dem gleichzeitig stattgefundenen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (JF 39/21) stimmte eine große Mehrheit zu. Der Senat ist nun aufgefordert, ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten. Geschätzte Kosten: bis zu 36 Milliarden Euro, ohne daß eine einzige neue Wohnung entsteht.

CDU im Nordosten stürzt auf historisches Tief

Neben der arg gerupften AfD lehnten das wie Giffey, die das Referendum nun aber akzeptieren möchte, auch FDP und CDU ab. Ob ein Bündnis mit den bürgerlichen Parteien, die jeweils leichte Gewinne erzielten, bei den linken Hauptstadt-Sozialdemokraten mehrheitsfähig ist, darf bezweifelt werden. Auch der DGB fordert eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot. Andererseits dürften demütige Christ- und Freidemokraten die einfacheren Partner sein, als die vor Selbstbewußtsein und Arroganz strotzenden Grünen. Obwohl nur auf Platz zwei gelandet, führt sich die Ökopartei aufgrund ihres Wachstums wie der wahre Sieger auf und leitet daraus den Anspruch ab, Berlin zum weltweiten Schaufenster ihrer Politik zu machen. Daß die FDP der SPD bereits einen Tag nach der Wahl ein Angebot für Koalitionsgespräche unterbreitete, dürfte Giffey nutzen – wenn auch nur, um die Grünen zu disziplinieren.

Die parlamentarische Opposition aus CDU, AfD und FPD kam auf 33,3 Prozent – ein Minus von 5,3 Punkten, das ausschließlich auf das Konto der Blauen geht. Diese verloren mehr als jeden dritten Anhänger. Trostpflaster: Am östlichen Stadtrand holten sie zwei Direktmandate. Profitieren vom berlinweiten AfD-Debakel konnten allerdings nicht die vorher deutlich höher gehandelten Freien Wähler. Die mit dem Ex-FDP-Politiker Marcel Luthe als Spitzenkandidaten angetretene Partei erzielte 0,8 Prozent. Das bedeutet Rang zwölf – noch hinter Team Todenhöfer (1,0), Volt (1,1) und Die Basis (1,3 Prozent), einer Querdenker-Gruppierung.

Mit 13 Abgeordneten, neun weniger als bisher, wird die AfD im früheren Preußischen Landtag vertreten sein. Das in der AfD bundesweit zu beobachtende Ost-West-Gefälle läßt sich in der einst geteilten Hauptstadt wie unter einem Brennglas beobachten: zweistellige Ergebnisse sowie Direktmandate holte die AfD nur im einstigen Ostteil, während ihr im früheren West-Berlin teilweise die Hälfte der Wähler von der Fahne ging. 

Auch in Mecklenburg-Vorpommern erlitt die AfD Verluste, konnte aber Platz zwei vor der CDU sogar noch ausbauen. Denn die Union verlor noch stärker. Für AfD-Spitzenkandidat Nikolaus Kramer der Grund, trotz der Einbußen zufrieden zu sein: „Wir haben unser Ziel erreicht, stärkste Oppositionskraft zu bleiben.“ Auch Landeschef Leif-Erik Holm nannte die „leichten Verluste nicht so dramatisch“. Man freue sich über eine „sehr, sehr große Stammwählerschaft, die auch in die Wahllokale gegangen ist“, sagte Holm am Sonntag. 

Wahlgewinner ist wie in Berlin eine sozialdemokratische Frau – allerdings viel deutlicher. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig legte mit ihrer Partei neun Punkte zu und erreichte knapp 40 Prozent. Ihr Koalitionspartner CDU ist auf ein historisches Tief gestürzt und nur noch knapp zweistellig. Ob die Sozialdemokraten sie weiterhin an der Regierung beteiligen, ist offen. Denn Grüne und FDP schafften den Wiedereinzug ins Parlament. Neben der sogenannten Großen Koalition würde es auch für ein Ampelbündnis oder einen Pakt mit den Wahlverlierern von der Linken reichen. Die Nordost-SPD hält drei Trümpfe in der Hand. Diese kann sie geschickt gegeneinander ausspielen, um für die nächsten fünf Jahre einen Koalitionsvertrag nach ihrem Belieben zu zimmern. Der Spitzenkandidat der gebeutelten Nordost-CDU, Michael Sack, zog bereits am Tag nach der Wahl die Konsequenzen und erklärte seinen Rücktritt als Landesvorsitzender. Auch sein Landtagsmandat werde er nicht annehmen, stattdessen lieber weiterhin Landrat in Greifswald bleiben. 

Unterdessen hat Berlins Landeswahlleiterin Petra Michaelis eine Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl nicht ausgeschlossen. Angesichts der teilweise chaotischen Zustände werde sie „eine Bestandsaufnahme der relevanten Wahlfehler“ machen und prüfen, ob die Wahl „ordnungsgemäß“ ablief, so Michaelis am Montag. Die Verantwortung für fehlende Stimmzettel trügen jedoch die Bezirkswahlleitungen. Personelle Konsequenzen lehnte Michaelis indes zunächst ab.

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Grafiken siehe PDF

Fotos: SPD-Spitzenkandidatin Giffey bei der Stimmabgabe: Risse im Verhältnis zu den Grünen; Mecklenburg-Vorpommerns Wahlsiegerin Schwesig: SPD hält drei Trümpfe in der Hand