© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Klare Mehrheit für Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen
Fataler Irrweg in Berlin
Stefan Kofner

Der Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wurde mit 56,4 Prozent angenommen. Über eine Million Bürger stimmten dafür, etwa 240.000 Wohnungen von großen Privatunternehmen wie Vonovia per Gesetz zu „vergesellschaften“. Das bedeutet, daß diese nicht mehr gewinnorientiert, sondern gemeinwirtschaftlich von einer Anstalt öffentlichen Rechts unter Beteiligung der Mieter bewirtschaftet werden. Es geht also auch um ein Stück gesellschaftliche Revolution.

Der Wohnungsmarkt ist angespannt: Der Leerstand liegt in Berlin unter einem Prozent und die Angebotsmieten haben sich seit 2008 mehr als verdoppelt. Allerdings liegt die durchschnittliche Mietbelastung mit 28 Prozent nur wenig über dem Bundesschnitt. Die Zahl der Sozialwohnungen schrumpft – Ende 2019 waren es nur 58.600. Es gibt aber noch 350.000 kommunale Wohnungen, ein soziales Mietrecht, die Mietpreisbremse und Milieuschutzsatzungen. Die Fakten sprechen also nicht für den Einsatz der Bazooka. Denn wirtschaftlich betrachtet ist die Initiative ein milliardenteures, unverhältnismäßiges und teilweise kontraproduktives Mittel, um den Wohnungsmarkt zu entspannen. Welcher Investor soll in Berlin noch bauen, wenn er mit Enteignung und einer Entschädigung deutlich unter dem Verkehrswert rechnen muß? Und wie sieht es mit der Verhältnismäßigkeit aus? Es gibt keine Präzedenzfälle, es wird juristisches Neuland beschritten. Es droht eine lange Phase der Unsicherheit, denn ein Vergesellschaftungsgesetz würde verfassungsrechtlich überprüft – mit ungewissem Ausgang. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes dürfte jedoch hier eher zu bejahen sein als beim gescheiterten „Mietendeckel“ (JF 8/21).

Man kann nur auf die Weisheit der designierten Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey hoffen, denn diese will den Markt nach dem Hamburger Vorbild zusammen mit der Privatwirtschaft durch ausreichende Bautätigkeit entspannen. Die SPD-Politikerin ist eine Gegnerin der Vergesellschaftung. Mit dem Votum wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. In Zukunft müssen alle Akteure an einem Strang ziehen, und die gegenseitigen Schuldzuweisungen müssen ein Ende haben.






Prof. Dr. Stefan Kofner lehrt Immobilien- und Bauwirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz.