© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Brüsseler Angriff auf die Super-Schnäppchen
EU-Vertikal-Leitlinie: Werbung für Preisrabatte könnte in Deutschland bald Geschichte sein / Neue Preisbindung durch die Hintertür?
Elias Huber

Erneut sorgt ein EU-Richtlinienentwurf für Wirbel. Stein des Anstoßes ist die Randziffer 174 in den „Leitlinien für vertikale Beschränkungen“, die das Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern im europäischen Kartellrecht regulieren sollen. Demnach „können auch Mindestpreisrichtlinien, die es Einzelhändlern verbieten, Preise unterhalb eines bestimmten, vom Anbieter festgelegten Betrags zu bewerben, auf eine Preisbindung der zweiten Hand hinauslaufen“.

Es bringt wenig, wenn ich nicht mit der Preissenkung werben darf

Die Händler befürchten nun, daß die EU Mindest-Werbepreise einführen will. So könnte dann etwa Ferrero nicht bloß eine unverbindliche Nutella-Preisempfehlung herausgeben, sondern auch bestimmen, bis zu welchem Preis Rewe & Co. die Nuß-Nougat-Creme bewerben dürfen. Faktisch würde das auf einen Mindestpreis hinauslaufen, warnt der Düsseldorfer VWL-Professor Justus Haucap, bis 2012 Chef der Monopolkommission, in der Lebensmittel Zeitung. „Es bringt wenig, wenn ich die Preise zwar senken, es aber niemandem erzählen darf.“ Die Super-Schnäppchen könnten dann in Deutschland bald Geschichte sein.

Bei Mode und Schuhen gibt es inzwischen fast ganzjährig Rabatte, auch im Möbelhandel ist immer öfter „Super-Sale“. Selbst Aldi bot 2019 erstmals Sonderangebote für Markenartikel aus seinem Dauersortiment. Hintergrund ist, daß Händler mit Mischkalkulation ihre Preise festsetzen. Dabei bieten sie beliebte Markenprodukte wie Bier, Kaffee oder Wurst bloß kostendeckend oder sogar verlustbringend an, um mehr Kunden in die Filialen zu locken. Diese kaufen dann nicht bloß die vergünstigte Aktionsware, sondern auch teurere Artikel.

Die meisten Produzenten fürchten, daß sich Verbraucher dauerhaft an die beworbenen Niedrigpreise gewöhnen könnten. Es sei gefährlich für Markenartikler, „wenn ihre Produkte ohne gemeinsame Absprache systematisch zu Aktionspreisen verramscht werden“, sagt etwa der Chef des Markenverbands Christian Köhler. „Das diskreditiert die Werthaltigkeit der Produkte bei den Verbrauchern nachhaltig und schadet den betroffenen Herstellern wirtschaftlich.“

Die Einzelhändler widersprechen. „Es wäre ein Schritt zurück zur Preisbindung der zweiten Hand, stellt einen massiven Eingriff in die Preissetzungshoheit des Handels dar und bedeutet einen Griff in die Tasche der Verbraucher“, erklärt etwa die Drogeriekette Rossmann. Der Vorschlag der EU-Kommission zeige, wie stark die Lobby der Marken-Unternehmen sei. Letztendlich seien Mindest-Werbepreise auch nachteilig für die Industrie. „Der Handel würde in der Werbung verstärkt auf Eigenmarken oder Exklusivartikel setzen.“

Auch der Wettbewerbsökonom Haucap sieht keine wissenschaftlichen Belege, daß Verbraucher wegen der Aktionsangebote nicht gewillt seien, auch wieder mehr zu bezahlen. Preisbindungen schränkten die Konkurrenz zwischen den Händlern ein, dem Konsumenten nützten sie „jedenfalls nichts“. Die Politik tendiere leider dazu, die Wertschöpfungskette immer mehr zu regulieren. Das habe sich beim Lieferkettengesetz und den Maßnahmen gegen „unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie 633/19) gezeigt. „In diesem Mindset herrscht auch die Vorstellung, daß Lebensmittel zu billig sind und eine Verteuerung automatisch zu nachhaltigeren, besseren Produkten führen würde“, kritisiert Haucap. „Aus dieser Grundstimmung kommt auch die Idee einer grünen Wettbewerbspolitik.“

Bis 17. September standen die Vertikal-Leitlinien noch zur Diskussion. Zum 1. Juni 2022 würde die neue Regelung in Kraft treten. Zudem streiten sich die Experten darüber, wie die umstrittene Randziffer 174 zu interpretieren ist. „Uns überrascht diese Auslegung. Zumal in Randziffer 182 Ausnahmen für ein Verbot vertikaler Preisbindungen geregelt sind. Und da werden Mindestwerbepreise nicht erwähnt“, sagt etwa der Jurist Peter Schröder vom Handelsverband Deutschland. Er wünsche sich eine Klarstellung von der EU-Kommission.

EU-Leitlinien für vertikale Beschränkungen: ec.europa.eu

Foto: Preissenkung: „Das diskreditiert die Werthaltigkeit der Produkte und schadet den betroffenen Herstellern wirtschaftlich“