© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Vorbildliches Verhalten
Luftlandebrigade 1: Die Politik überhäuft die am schnellsten verfügbare Truppe der Bundeswehr mit Auszeichnungen
Christian Schreiber

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kannte bei ihrem Besuch des Fallschirmjägerregiments 31 im niedersächsischen Seedorf am vergangenen Mittwoch nur höchst lobende Worte: „Ganz Deutschland blickt heute voller Anerkennung und Dankbarkeit auf seine Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie haben während der militärischen Evakuierungsoperation in Afghanistan Unfaßbares gesehen und Unglaubliches geleistet“, twitterte die CDU-Politikerin. „Unser Land ist Ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Sie haben Deutschland professionell und vorbildhaft vertreten – vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit.“

Bei strahlendem Sonnenschein zeichnete sie zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einige Soldaten stellvertretend für alle am Einsatz Beteiligten mit der Einsatzmedaille aus. Darunter auch den Kommandeur der Luftlandebrigade 1 Jens Arlt. 

Zuvor hatte der 52jährige Fallschirmgeneral am 17. September zweifelsohne den größten Tag in der beruflichen Laufbahn erlebt. Da bekam der dreifache Familienvater von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen: „Herr General Arlt, wenn ich Sie heute mit dem Verdienstorden auszeichne, dann geht es um Ihre besonderen Verdienste, die über das Erwartete und das Erwartbare hinausgehen“, sagte Steinmeier nicht ohne Grund.

 Nach dem Vormarsch der Taliban bis in die afghanische Hauptstadt Kabul führte Arlt im August 2021 vom Flughafen Kabul aus den kurzfristig dort und am Flughafen Taschkent stationierten Einsatzverband der Bundeswehr, der die deutschen Evakuierungsflüge durchführte. Der 52jährige ist seit April 2020 Kommandeur der Luftlandebrigade 1, die im saarländischen Saarlouis beheimatet ist. Sie ist die einzige Luftlandebrigade des Deutschen Heeres und ist die am schnellsten verfügbare Brigade der Bundeswehr für krisenhafte Entwicklungen im Ausland. Für ihren Auftrag sind ihr die Fallschirmjäger- und Luftlandetruppenteile der Bundeswehr unterstellt. 

Drei Tage zwischen Alarmierung und Abmarschbereitschaft

„Ein Gegner kann mit einfachsten Mitteln den Zugang zu seinem Raum verwehren. Ein Fahrzeug, mittig auf einer Start- und Landebahn abgestellt verhindert jegliche Anlandung, sogar leichte, schwache gegnerische Truppen am Boden stellen eine ernsthafte Bedrohung für landende Luftfahrzeuge dar. Die Befähigung zum Fallschirmsprung und dem Absetzen von Lasten ist daher für die Einführung von Kräften, die solch eine Situation bereinigen können, ein essentieller Baustein“, erklärte der Brigadegeneral kürzlich das zentrale Aufgabenfeld seines Verbands. 

Fallschirmjäger kämpfen nach den Grundsätzen der Infanterie und stellen den Kern der spezialisierten Kräfte dar. Es ist ihnen aufgrund der Bewaffnung und Ausrüstung möglich, für eine bestimmte Zeit ohne Unterstützung durch andere Truppen den infanteristischen Kampf zu führen: „Im gesamten Aufgabenspektrum einsetzbar sind die Fallschirmjäger dazu befähigt, zwei zeitlich parallel und geographisch voneinander unabhängige, spezielle Operationen durchzuführen“, heißt es in einer Selbstbeschreibung der Brigade. 

Mögliche Einsatzszenarien seien dabei vielfältig und reichten von einer schnellen Anfangsoperation oder einer Operation gegen irreguläre Kräfte über militärische Evakuierungsoperationen bis hin zu einer Operation in der Tiefe des Raumes. Gleichzeitig hält die Brigade aber wie in Afghanistan Kräfte für humanitäre Einsätze nach Naturkatastrophen, für Stabilisierungsoperationen oder Operationen hoher Intensität im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung bereit. Zusätzlich unterstützen speziell ausgebildete Soldaten, die Kräfte mit Erweiterter Grundbefähigung, auch den Einsatzverbund der Spezialkräfte.

Die Einsätze sind kein Zuckerschlecken: „Plötzlich landet man in einem Szenario, wo keiner wirklich weiß, was gerade passiert. Dadurch, daß wir kaum Informationen hatten, war die Lage für uns unbekannt“, schildert Stabsunteroffizier Jessica Meinhardt ihren Einsatz am Kabuler Flughafen auf der Internetseite der Bundeswehr. „Überall fremde Menschenmassen bestehend aus Soldaten und Schutzbedürftigen, viel Lärm, schreiende Frauen, Männer und Kinder. Und immer wieder waren Schüsse zu hören. Hinzu kamen die Strapazen durch die Temperaturen und die hohe Lage der Stadt. Auch diese Armut und unfaßbare Situation der Afghanen. Einfach überall Verzweiflung. Am Anfang habe ich nur gedacht: Das ist die Hölle! Hinzu kommt, daß das mein allererster Auslandseinsatz überhaupt war. Deswegen wirkte alles natürlich erstmal total überfordernd. Doch dann habe ich die kurze Zeit genutzt, um kräftig durchzuatmen und die Lage bewußt zu realisieren. Danach ging es für uns auch schon los mit dem eigentlichen Auftrag.“ 

Meinhardts Auftrag: Personenkontrolle. „Ich hatte die Verantwortung, Frauen und Kinder auf gefährliche Gegenstände zu durchsuchen, die auf dem Flug nach Taschkent nicht mitgeführt werden durften. Das beinhaltete ganze einfache Dinge, wie Nagelscheren oder kleine Klappmesser.“

Bei den Evakuierungsoperationen, bei denen der  Zustrom von Fluchtwilligen zum Kabuler Flughafen nie abebbte und das Gewaltpotential nach Angaben der Bundeswehr stets zunahm, kam es  am 23. August zu einem Feuergefecht, bei dem eine afghanische Sicherheitskraft getötet wurde, an dem auch deutsche Kräfte beteiligt waren.

Alarmiert wurde die am schnellsten verfügbare Brigade Deutschlands übrigens am 14. August am Morgen. Abmarschbereit war die Truppe dann am 16. August um 22.30 Uhr.

Derzeit dienen in der Luftlandebrigade 1 rund 4.400 Soldaten an fünf Standorten in drei Bundesländern. Als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges galten Luftlandetruppen weltweit als Elite-Infanterie. Insofern wollte auch die neue Bundeswehr nicht auf diese Spezialinfanterie verzichten, auch wenn die militärische Bedeutung von reinen Sprungeinsätzen eher als gering eingeschätzt wurde. 

1956 wurden daher die ersten Fallschirmjägerverbände als Teil der Infanterie aufgestellt. In Folge der Deutschen Einheit und der Reduzierung der Bundeswehr wurden die Fallschirmjägerverbände mehrfach umstrukturiert. 1994 entschied das Bundesministerium der Verteidigung, die Luftlandebrigaden dem Kommando Luftbewegliche Kräfte (KLK) zu unterstellen. Dieses wurde daher als zukünftige Heimat der Fallschirmjäger betrachtet. Aus dem KLK wurde 2001 die Division Spezielle Operationen (DSO). Sie wurde 2014 zur Division Schnelle Kräfte umgegliedert. Die Luftlandebrigade 1  „Saarland“, deren Chef Arlt ist, entstand durch die Umgliederung der Luftlandebrigade 26 (LLBrig 26) und Eingliederung von Teilen der Luftlande­brigade 31 (LLBrig 31). 

Wie alle anderen Truppengattungen auch ist die Luftlandetruppe auf technisch hochwertige Ausstattung angewiesen. Daran haperte es teilweise erheblich. So hatte der Airbus „A400M“ bei der Bundeswehr keinen guten Start, nun ist er das militärische Gerät der Stunde. Der brenzlige deutsche Afghanistan-Einsatz war die erste wirklich große Bewährungsprobe, und sie ging gut. Daß die Bundeswehr den „Engel der Lüfte“, die Transall nach und nach aus dem Verkehr zog, hatte auch für Kritik gesorgt. 

Der erste Airbus A400M wurde 2014 an die Armee geliefert und es hagelte technische Beschwerden. 2015 stürzte ein A400M bei einem Testflug ab. Die Süddeutsche Zeitung berief sich kürzlich auf interne Bundeswehrkreise und schrieb von einer „unbefriedigenden technischen Produktreife“, weshalb Maschinen häufig in der Instandsetzung seien. Die gelungene Operation am Hindukusch dürfte die Kritiker nun erst einmal verstummen lassen. Denn auch für die Fallschirmjäger sind die Maschinen von enormer Wichtigkeit. 

Am 3. März sind nach längerer Vorbereitungsphase erstmals Fallschirmjäger mit automatischer Auslösung aus einem deutschen A400M gesprungen. Brigadegeneral Jens Arlt war der, der als erster die A400M verließ. „Die Luftlandebrigade 1 als Heimat der Fallschirmjäger und Luftlandetruppen ist natürlich der Bedarfsträger dieses Verfahrens. Dazu gehört es selbstverständlich auch, im Rahmen von Erprobungen und Einsatzprüfungen mit all unseren Fähigkeiten mitzuwirken. Mit der erfolgreichen Einsatzprüfung des beidseitigen Absetzverfahrens im Reihensprung aus dem A400M hat für die Luftlandetruppe ein neues Zeitalter begonnen“, sagte Arlt anschließend. 

Warten auf ein modernes Fallschirmsystem 

Daß der Sinn und Zweck von Luftlandeoperationen in einem größeren Maßstab immer wieder in Frage gestellt wird, kann der Brigadegeneral nicht nachvollziehen. „Die Fähigkeit zur Projektion von Kräften wurde im Weißbuch von 2016 der Bundeswehr ins Lastenheft geschrieben und mit dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr von 2018 weiter präzisiert. Solch eine ‘Force Projection’ kann nur dann glaubhaft gedacht werden, wenn sie auch die Option der Verbringung von Kräften in einem von einem Gegner behaupteten Raum beinhaltet. Diese Fähigkeit erlaubt es der Bundesrepublik Deutschland, glaubhaft im internationalen Krisenmanagement und in der Landes- und Bündnisverteidigung national wie auch im Bündnis Verantwortung zu übernehmen und Mitgestaltung einzufordern.“

Mit der Etablierung des A400M und perspektivisch der dauerhaften Durchführung von Automatiksprüngen ist die Umrüstung der Luftlandebrigade aber noch nicht abgeschlossen. Brigadegeneral Arlt fordert, neben „der nun unmittelbar bevorstehenden regulären Nutzung des A400M als dem neuen und zeitgemäßen taktisch-operativen Verbringungsmittel für die Luftlandekräfte“ ein adäquates neues Fallschirmsystem anzuschaffen. Der inzwischen viele Jahrzehnte alte Rundkappenfallschirm T-10 DNB sei hinsichtlich seiner Leistungsdaten, sprich der möglichen Last unter der Kappe, der Sinkgeschwindigkeit und der Steuerbarkeit den Anforderungen heutiger Operationen kaum mehr gewachsen. 

Foto: Soldaten der Luftlandebrigade 1: In Afghanistan „Unfaßbares gesehen und Unglaubliches geleistet“, so Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer