© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Aus der Defensive heraus bereit zum Gegenangriff
Meinungsfreiheit: Die neue britische Kulturministerin scheut nicht den Kulturkampf mit den Linken
Julian Schneider

Linke Schneeflocken zerstören die Comedy, sie reißen historische Statuen nieder, entfernen Bücher aus Universitäten, machen die Pantomime dumm, nehmen Christus aus Weihnachten und unterdrücken die freie Rede ...“. Wenn die konservative Tory-Abgeordnete Nadine Dorries twittert, hat sie keine Scheu vor der Konfrontation mit dem politischen Gegner. Der Linken wirft sie heute vor allem die Politische Korrektheit und Cancel Culture vor, die die Meinungsfreiheit einengen. Um so größer war der Schock für die linksorientierte Kultur-, Medien- und Universitätsszene, daß Dorries vorige Woche von Boris Johnson zur neuen Ministerin für Digitales, Kultur, Medien und Sport ernannt wurde.

Die aus einer Liverpooler Arbeiterfamilie stammende Blondine, bekannt aus einer Reality-Show und als Autorin erfolgreicher Trivialromane, ist das perfekte Feindbild für die Guardian-lesende, woke Linksintellektuellenszene. Schon seufzen Künstler, Museumskuratoren und BBC-Redakteure, daß nun der „Culture War“ intensiviert werde. Wobei jede Seite betont, die andere habe angefangen. Themen wie „Rasse“, „Gender“ und „Transgender“ mobilisieren verbissene linke Aktivisten. Die Konservativen sehen sich seit Jahren in der Defensive, Johnsons Mitstreiter in Downing Street und Westminster beginnen aber seit einiger Zeit mit taktisch nicht ungeschickten Gegenangriffen. In der Downing Street 10 leitet die entsprechende Abteilung kurioserweise eine Ex-Kommunistin namens Munira Mirza, die weiß, wie man woke Linke trifft.

Entgeistert sieht die Linke, daß Tory-Regierungsmitglieder und die konservative Presse nun zurückbeißen, wenn linke Cancel Culture ein neues Opfer fordert. Johnson selbst ist bestimmt kein traditioneller Konservativer, gesellschaftspolitisch eher ein Liberaler, wie er als Londoner Bürgermeister gezeigt hat. Aber in der Post-Brexit-Ära verändert sich das Klima. Die Tories haben erkannt und sehen genüßlich, wie es ihnen nutzt, wenn sich Labour zum Beispiel in Transgender-Fragen verheddert (Sollen Transfrauen, also biologische Männer, Frauenumkleiden oder Frauenklos betreten dürfen?). Den normalen Wähler irritiert das. Der „Culture War“ kreist aber vor allem um die Frage, wie das Königreich mit seiner Vergangenheit umgeht.

Nun könnte der Kulturkampf verschärft werden. Premierminister Johnson zeigt seine Lust an der Provokation, ausgerechnet Dorries für das Kulturressort zu benennen. Die Berufung der Abgeordneten, die seit 2005 im Parlament von Westminster einen mittelenglischen Wahlkreis in Bedfordshire vertritt, treibt den Puls der urbanen Kulturelite hoch. Nicht nur hat Dorries es gewagt, die Homo-Ehe zu kritisieren, zudem ist sie bekannt als Abtreibungsgegnerin und lebt ein klassisches Frauenbild vor. All dies würde genügen.

Doch dann sind da noch ihre Romane – mittlerweile rund ein Dutzend –, die als E-Books mehrere hunderttausend Male verkauft wurden, während mancher akademischer Titel aus den Post-Colonial oder Gender Studies kaum ein paar hundert Leser findet. Die Bücher spielen in den 1950ern im katholisch-irischen Milieu in Liverpool, das Dorries in ihrer Kindheit selbst erlebte. Sie sind voller Klischees, traditioneller Rollenbilder, kitschiger Romanze. Der Telegraph-Rezensent nannte „The Four Streets“ den „schlechtesten Roman, den ich seit zehn Jahren gelesen habe“. Verteidigungsminister Ben Wallace verteidigte Dorries nun mit der Aussage, sie schreibe eben das, was ein Massenpublikum anziehe.

Kritik lacht sie sympathisch weg

Die 64jährige, die als Krankenschwester ausgebildet ist und als Managerin eines Unternehmens für Kinderbetreuung arbeitete, bevor sie in die Politik ging, wurde vor allem mit ihrer Teilnahme 2012 an der Reality-Show „I’m a Celebrity – Get Me Out of Here“ bekannt, wo sie mit anderen B- oder C-Promis im australischen Dschungel unter anderem Spinnen und Straußenanus verspeisen mußte. Dorries lacht Kritik mit einem sympathischen Lachen weg. Auch daß ihre Fraktion sie damals zeitweise ausschloß, ist längst vergessen. Unter Cameron, den sie als „feinen Pinkel“ bezeichnete, machte Dorries keine Karriere. Johnson hat nun seine langjährige Unterstützerin auf einen wichtigen Kabinettsposten befördert, der die Zukunft des Landes mitbestimmt. Sie ist bereit für die Konfrontation.

Zum einen geht es den Tories darum, wildgewordene Universitätsdozenten und Museumsvorstände einzufangen, die sich eher im Krieg gegen die traditionelle britische Kultur, Geschichte und ihre Artefakte sehen, die allesamt unter Rassismus- und Kolonialismus-Verdikt verschwinden sollen. Schon Oliver Dowden, Dorries Vorgänger als Kulturminister, hatte sich mit dem Chef des National Trusts angelegt, der eine große Rassismus- und Sklaverei-Schnüffelaktion auf den Landsitzen und Schlössern des britischen Adels anzetteln wollte. Der Trust solle das Erbe erhalten und pflegen, nicht zerfleddern, beschied Dowden. Innenministerin Priti Patel kritisierte Denkmalstürzer, die im „Black Lives Matter“-Rausch umstrittene Statuen vom Sockel rissen.

Noch stärkeres Augenmerk der Tories liegt aber auf der Medienpolitik, für die nun Dorries zuständig sein wird. Sie macht keinen Hehl daraus, daß sie die Linkslastigkeit der BBC stört. „Schrill, sehr links, heuchlerisch und arrogant“ nannte sie die Rundfunkanstalt. Auch wenn die Kritikerin des Rundfunkgebührenmodells dieses wohl nicht radikal ändern kann, könnten schon Kürzungen den Medienriesen und die überwiegend linke Journalistenszene empfindlich treffen.