© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Unbequeme Antworten unterbinden
Hundert Jahre nach Alfred Rosenberg ist die Rassentheorie wieder da, sie nennt sich „kritisch“, ist aber genauso dumm und gefährlich wie ihr NS-Vorläufer
Dietmar Mehrens

In einer regelmäßigen Spielshow im NDR-Radio werden den Hörern Kuriositäten aus aller Welt vorgelegt. Sie sollen dann raten, ob das frei erfundener Quatsch ist oder tatsächlich stimmt. Daß deutsche Verkehrsbetriebe das Wort „schwarzfahren“ zur Abwehr von Alltagsrassismus aus ihren Statuten streichen, weil es rassistisch sei, klingt wie ein Beitrag zu dieser Rubrik. Doch Deutsche haben sich inzwischen daran gewöhnt, daß keine Spinnerei absurd genug sein kann, um nicht trotzdem zu stimmen. Der irre Kult um die schwarze Hautfarbe, der von Weißen immer markantere Demutsgesten einfordert, findet seine ideologische Grundlegung in der sogenannten kritischen Rassentheorie („Critical Race Theory“), die alle Kennzeichen einer Verschwörungstheorie aufweist, aber natürlich nie und nimmer so bezeichnet werden dürfte. 

Als ihr Urheber darf mit einigem Recht der schwarze Bürgerrechtsanwalt Derrick A. Bell betrachtet werden. Vor 41 Jahren, im Januar 1980, veröffentlichte er an der Universität Harvard die überarbeitete Fassung eines Beitrags zu einem Jura-Symposium aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des richtungweisenden Urteils des Supreme Court im Fall Brown versus Board of Education, das die Rassentrennung an öffentlichen Schulen abschaffte. Bell versuchte nachzuweisen, daß nicht Gerechtigkeitssinn oder christliche Ethik die weiße Mehrheitsgesellschaft dazu veranlaßte, dem Irrsinn der Rassentrennung ein Ende zu bereiten, sondern ökonomische und globalstrategische Interessen.

Vereinfacht gesagt: Wer Afrika nicht den Sowjets überlassen, sondern von den dort lagernden Bodenschätzen etwas abhaben will, darf Schwarze zu Hause nicht wie Sklaven herumschubsen. Der Rassismus in den Köpfen jedoch, so Bell, der sei unausrottbar.

Ungleichheiten zwischen Schwarzen und Weißen

Man könnte Bells Theorie vergleichen mit der von Daniel Goldhagen, der in „Hitlers willige Vollstrecker“ (1996) behauptet hatte, die Deutschen seien prädestiniert gewesen für den Holocaust, weil in ihnen ein „eliminatorischer Antisemitismus“ inhärent gewesen sei. Einen entsprechenden repressiven Rassismus machte Bell in der weißen amerikanischen Bevölkerungsmehrheit aus. Rasse selbst betrachtet er – wie die Genderisten das natürliche Geschlecht des Menschen – als Konstrukt mit dem Ziel der Unterdrückung. Schwarze hätten daher nur eine Chance, ihre Natur- und Menschenrechte zu sichern: Kampf.

Diese Vorstellung führt unmittelbar zum linken Kampfbegriff des „strukturellen Rassismus“, der ja auch hierzulande von Politikern und Aktivisten der Linken, der Grünen und der Esken-SPD überall entdeckt wird. Im Wahlprogramm der Grünen heißt es wörtlich: „Wir wollen den Schutz vor und die Beseitigung von Diskriminierungen, strukturellem und institutionellem Rassismus mit einem staatlichen Gewährleistungsanspruch in der Verfassung verankern, ergänzend zur überfälligen Ersetzung des Begriffs ‘Rasse’.“

Man kann daran gut ablesen, wie harmonisch sich die Thesen des Marxismus in die kritische Rassentheorie einbetten ließen. Im marxistischen Kampfruf „Proletarier aller Länder vereinigt euch und sprengt eure Ketten!“ muß lediglich der Proletarier durch die verblüffend assonant klingende „person of color“ ersetzt werden. Und genau wie Marx und Engels jeder Gedanke an faule oder unproduktive Werktätige im wesentlichen fremd ist, besteht einer der großen Vorzüge der kritischen Rassentheorie darin, daß sie unbequeme Antworten auf relevante Fragen unterbindet. Die nach Ursachen für den höheren Drogenkonsum, die höhere Zahl von Abtreibungen und die höhere Kriminalitätsrate unter den 13 Prozent schwarzen US-Amerikanern etwa. Inzidenzwert mal anders, denkt automatisch, wer sich diese Zahlen anschaut: Auf 100.000 weiße US-Bürger kamen nach Informationen des US-Justizministeriums mit Ablauf des Kalenderjahres 2019 263 Personen, die eine Haftstrafe abbüßten; bei Afroamerikanern war der Wert fünfeinhalb Mal so hoch (1.446 Häftlinge).

Nicht anders sind die Zahlen bei uns: 2019 hatte über ein Drittel der hierzulande verurteilten Staftäter keine deutsche Staatsbürgerschaft. 37,5 Prozent aller Gewaltdelikte wurden auf Ausländer zurückgeführt (12,2 Prozent Syrer), ergab eine Anfrage der AfD an das Bundesjustizministerium. Der größte Aufschrei dürfte aber der Untersuchung „The Bell Curve“ von Charles Murray und Richard Herrnstein vorbehalten sein, zwei Wissenschaftlern der Universität Harvard: Intelligenztests hatten ergeben, daß schwarze US-Bürger im Vergleich zu weißen im Schnitt einen um den Wert 15 niedrigeren IQ aufwiesen (JF 5/21).

Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wie praktisch also, daß sich jenseits eines Tabuzonensperrzauns befindet und somit dem offenen Diskurs entzogen ist, worüber nachzudenken die neue jakobinische Antirassismustugend untersagt. Tatsächlich wird mit unorthodoxen Erklärungen für Ungleichheiten zwischen Schwarzen und Weißen in der kritischen Rassentheorie so ähnlich verfahren wie mit Kandidaten für das iranische Präsidentschaftsamt: ein antirassistischer Wächterrat läßt sie gar nicht erst zu. So war es möglich, so René Pfister im Spiegel, daß selbst Barack Obama des Rassismus bezichtigt wurde, weil er es gewagt hatte, auf die fatalen gesellschaftlichen Auswirkungen familiärer Desintegration hinzuweisen, die er darin beobachtet hatte, daß jedes zweite farbige Kind in den USA ohne Vater aufwachse. Pfister sieht in dem antirassistischen Erweckungsprediger Ibram Kendi eine der prägenden Zentralfiguren der kritischen Rassentheorie der Gegenwart und charakterisiert den Historiker mit den Worten: „Im Kampf gegen Rassismus gibt es für Kendi nur Gut oder Böse, Opfer oder Täter, Unterdrücker oder Unterdrückte. […] Es ist ein Freund-Feind-Schema, und wie so viele Denker, die mit dem Totalitären flirten, findet auch Kendi, daß die richtige Gesinnung schon im frühesten Kindesalter gelehrt werden muß.“

Karl Marx lugt durchs Schlüsselloch

Es ist zweifellos richtig, daß es aus heutiger Sicht quälend lange dauerte, bis farbigen Amerikanern nach der Abschaffung der Sklaverei prinzipiell dieselben Rechte zustanden wie der weißen Bevölkerung. Aber als Grund dafür eine universelle weiße Verschwörung gegen Schwarze anzunehmen, eine Art unsichtbaren Ku-Klux-Klan, der in den Köpfen aller Weißen unausrottbar sein Unwesen treibt und dem jedes Mittel recht ist, um die weiße Vorherrschaft zu erhalten, wie es Bell 1987 in seinem Buch „Und wir sind nicht gerettet“ noch einmal ausdrücklich feststellte, das soll man als Theorie ernst nehmen? Man wird nicht schwarz geboren, sondern durch „strukturellen Rassismus“ erst dazu gemacht? Und die Erde ist doch keine Kugel?

Leider reicht es nicht aus, sich über die Anhänger der perfiden Lehre lustig zu machen, denn sie hat das Zeug dazu, die Demokratie nachhaltig zu beschädigen. Der Publizist Dimitrios Kisoudis schrieb in dieser Zeitung (JF 35/20), daß die „ethnische Mobilisierung“ antirassistischer Aktivisten nur ein Zwischenschritt sei. „Ihr Endziel ist der Menschheitskommunismus, der überhaupt keine Unterschiede mehr kennt. […] Die Propaganda für Abtreibung unter Weißen auf linken Demos deutet an, zu welcher Bösartigkeit die Antirassisten und Antifaschisten fähig sind.“

In seinem Beitrag für den Spiegel verwies der USA-Korrespondent Pfister auf die Juristen Richard Delgado und Jean Stefancic, die in der „Critical Race Theory“ einen Angriff auf die Grundpfeiler der Demokratie sehen, weil sie am Gleichheitsprinzip rüttle: Warum sollte man Unterdrückern dieselben Grundrechte zugestehen wie den Unterdrückten? Auch hier lugt wieder Karl Marx durchs Schlüsselloch mit seiner schönen Figura etymologica von den Expropriateuren, die expropriiert (ausgebeutet) werden sollen – bürgerliche Freiheit ade!

Von Marx führt ein nicht ganz gerader, aber doch gut ausgeschilderter Weg zu den Sozialgeschichtlern und Philosophen Derrida und Foucault, den französischen Säulenheiligen der nihilistischen Postmoderne, die das theoretische Rüstzeug für die Abwicklung des bürgerlichen Liberalismus liefern, der ja eh nur dem Zweck diene, bestehende ungerechte Herrschaftsstrukturen zu verfestigen.

Daher rühren auch die absurden Angriffe auf den Sprachgebrauch: Nicht nur „Neger“ und „Farbiger“ müssen in den richtig codierten Begriff „person of color“ überführt werden, die Verbalarmada ist für alle Kampfplätze gerüstet: Mit „reproduktiven Rechten“ werden Frauen-, mit „Homophobie“ LGBT- und mit den aberwitzigen Sprachmonstrositäten des Genderfaschismus die Rechte potentieller weiterer Geschlechtsidentitäten verteidigt. So kann die Gesellschaft übersichtlich gegliedert werden in systemkonforme Gefolgsleute, die wie in der biblischen Apokalypse (Offenbarung 13) das Siegel der Orthodoxie angeheftet bekommen, und reaktionäre Renegaten, die an den Pranger müssen.

Kendi und Co. sind auch in der deutschen Politik längst angekommen. Denn die Globalisierung schweißt die Sturmtruppen der neuen Orthodoxie zu einem homogenen Heer zusammen. Antidiskriminierungsgesetze, Antirassismus- und Gleichstellungsbeauftragte, Gender Studies, New Historicism, postkoloniale Reparationszahlungen: das alles geschieht hierzulande und zugleich in ein und derselben Welt. 

Wohin das Evangelium nach Kendi führen könnte, darauf gibt Mohamed Amjahid, Journalist mit nordafrikanischen Wurzeln, in seinem soeben veröffentlichten Buch „Der weiße Fleck – Eine Anleitung zu antirassistischem Denken“ Auskunft. Er stellt die Überlegung an, ob nicht auch seine Mutter, die als Gastarbeiterin den entwürdigenden Beruf der Putzfrau ausgeübt hat, eine Art Reparation dafür verdiene, daß sie den „Almans“ die „Scheiße […] weggeschrubbt“ habe. Wer sich bis jetzt als normaler Deutscher noch nicht fremd im eigenen Land gefühlt hat, sollte wissen, daß es Kräfte gibt, die eifrig daran arbeiten, daß es bald soweit ist.

Foto: Anhängerin der „Black Lives Matter“-Bewegung