© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Überschätzte Roboterprofile
Neue Untersuchungen zeigen, die Bedeutung von Social-Media-Bots wurde maßlos übertrieben
Ronald Berthold

Der berühmte Journalist Glenn Greenwald, der die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden veröffentlichte, und der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs sind Social-Media-Roboter. Jedenfalls, wenn es nach offizieller Definition geht. 

Denn jeder Twitter-Account, der mehr als 50 Beiträge am Tag absetzt, wird laut „Oxford’s Computational Propaganda Project“ automatisch als sogenannter Bot eingestuft. Greenwald und Kahrs schaffen locker 50 Tweets am Tag. Und sie sind nicht die einzigen.

Eine Untersuchung des Wissenschaftlers Florian Gallwitz und des Journalisten Michael Kreil zeigt nun, daß die Gefahr durch Social-Media-Bots von Medien und etablierter Politik maßlos übertrieben wird. Demnach hätten erst solche künstlichen Accounts die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und den Brexit möglich gemacht. Außerdem sollen vor allem Bots die Zweifel am menschengemachten Klimawandel, an der Wirksamkeit von Corona-Impfstoffen sowie Ressentiments gegen Masseneinwanderung fördern.

Doch dieses Narrativ hält einer Überprüfung nicht stand, wie der Software-Entwickler Mike Hearn auf Daily Sceptic schreibt: „Bizarrer- und ironischerweise verbreiten universitäre Studien damit unwahre Verschwörungstheorien, während sie gleichzeitig für sich beanspruchen, die Welt gegen diese zu verteidigen.“ Kurzum: Die These von Falschinformationen, die angebliche Bots verbreiten, „sind selbst Falschinformationen“.

Hearn kritisiert, daß die Studien normalerweise keine Beispiele für Bots bekanntgeben, die sie identifiziert hätten. Das Oxford-Projekt habe ausnahmsweise vier genannt. Selbst dabei stellte sich ein Bot als Mensch heraus. Die anderen drei hätten lediglich Bots in ihren Metadaten gehabt. Aus dieser haltlosen Studie seien 27 Zeitungsartikel entstanden. Weitere 323mal sei sie zitiert worden. So verbreitete sich die Legende von den Bots, die Wahlen beeinflussen, um die Welt.

Die ebenfalls vielzitierte „Berkley/Swansea-Studie“ habe nach Hearns Untersuchung genauso unseriös gearbeitet. Demnach wird jeder Mensch, der nach Mitternacht mehr als fünfmal twittert, als Bot klassifiziert. Trotzdem sei es den Autoren möglich gewesen, ihre Thesen selbst ins britische Parlament zu tragen. Ein Abgeordneter sagte: „Das ist der signifikanteste Beweis für die russische Beeinflussung des Brexit-Referendums.“