© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Den Osmanen den Bart abrasiert
Die Seeschlacht von Lepanto vor 450 Jahren gilt als großer Erfolg des Abendlandes gegen die Türken / Doch bereits zwei Jahre später zerfiel die siegreiche christliche „Heilige Liga“
Ralf Fritzsche

Es war ein strahlend blauer Himmel und eine ruhige See am Morgen des 7. Oktober 1571 in der Meerenge von Lepanto im heutigen Griechenland. Um 9.30 Uhr läßt der Befehlshaber der christlichen Flotte, Don Juan de Austria, von seinem Flaggschiff eine Signalkanone abfeuern. Sein Gegenspieler auf osmanischer Seite, ein mit dem höchsten militärischen Rang in der osmanischen Marine ausgezeichneter Kapudan Ali Pascha, nimmt diese Herausforderung an und antwortet ebenso mit einem Kanonenschuß. Es ist der Auftakt zu einer riesigen Schlacht auf dem Meer, die im Laufe eines Tages so viele Gefallene fordern sollte, wie noch nie in einer Seeschlacht zuvor. Schon die aufgefahrene Truppenstärke war beeindruckend: Das osmanische Aufgebot bestand aus 255 Galeeren, 34.000 Soldaten sowie 46.000 Matrosen und Ruderern, denen 206 Galeeren, 6 Galeassen, 28.000 Soldaten und 40.000 Matrosen und Ruderer gegenüberstanden.

Die Vorgeschichte dieser Schlacht ist in der türkischen Expansion nach Europa zu suchen. 1453, nach der Eroberung Konstantinopels, eroberten die Osmanen große Teile des Balkans. Spätestens 1570/71 wird durch die türkische Eroberung Zyperns, welches davor unter venezianischer Herrschaft stand, eine Konfrontation unausweichlich. Venedig, das in erster Linie seinen Handel im östlichen Mittelmeer sichern wollte, suchte Verbündete. Durch Vermittlung des Papstes Pius V., der sich eine Wiederaufnahme der Kreuzzüge und der christlichen Einheit sehnlichst wünschte, kam am 20. Mai 1571 die „Heilige Liga“ zustande, die es sich zum Ziel setzte, die osmanische Übermacht im Mittelmeer zu brechen. Dieser Liga traten außer Venedig und dem Papst auch Genua, die italienischen Herzogtümer Florenz, Parma und Urbino, das Herzogtum Savoyen sowie der Ritterorden der Malteser bei. Zuletzt gab auch Spanien seine Zusage. Zwar war der König dieses Reiches, Philipp II., nicht gut auf die Venezianer zu sprechen, doch konnte er als damals mächtigster Herrscher Europas sich nicht vor einer Konfrontation mit dem Osmanischen Reich drücken.

Den Beistand Gottes und die Macht des Hauses Habsburg sollte dessen Halbbruder Don Juan de Austria verkörpern, welcher mit dem Oberbefehl der Liga beauftragt wurde. Der 1547 in Regensburg als unehelicher Sohn Karls V. geborene Juan war ein erfahrener Feldherr und Statthalter der habsburgischen Niederlande. Unter seinem Oberbefehl versammelte sich die Flotte der Liga zunächst im Hafen von Messina. Gut die Hälfte der Schiffe wurde dabei alleine von den Venezianern gestellt. Don Juans Aufgabe bestand nicht zuletzt darin, die gegenseitige Uneinigkeit der Spanier und der italienischen Staaten und deren gegenseitige Abneigung untereinander zu überwinden.

Am 16. September stach die Flotte in See. Die osmanische Flotte, die inzwischen venezianische Stützpunkte an der Adria plünderte, zog sich beim Anmarsch der Flotte der Liga über die Bucht von Lepanto zurück. Vor dem Eingang des Golfes von Patras sollte es schließlich zur Schlacht kommen.Don Juan organisierte mit sämtlichen Schiffen eine Linie, die in der Breite mehrere Kilometer umfaßte. Im Zentrum dieser Linie fuhr Don Juans Flaggschiff „La Real“, im Norden als Kommandozentrale der venezianische Generalkapitän Agostino Barbarigo und im Süden der Befehlshaber der genuesischen Flotte, Giovanni Andrea Doria. In der Mitte und im Norden wurden die sechs Galeassen, Weiterentwicklungen von herkömmlichen Galeeren, eingesetzt. Diese sollten ein wichtiger Grund für den Sieg der Liga werden. Sie besaßen eine höhere Bordwand, konnten daher nur schwer geentert werden. Wichtiger war ferner, daß hier auch beide Schiffsseiten mit Kanonen bestückt waren und nicht nur der Bug, wie bei den normalen Galeeren üblich. So konnten auch Schiffe im Nahkampf beschossen werden, die längsseits dieser Galeassen zum Entern oder weiteren Vorstoßen vorbeifuhren.

Nachdem Ali Pascha fällt, erlahmt der Kampfwille der Osmanen

Auch die Gegenseite formierte eine Schlachtreihe – immerhin eintausend Meter länger. Ali Pascha befehligte mit seinem Flaggschiff „Sultana“ ebenfalls das Zentrum seiner Flotte. Der nördliche Flügel stand unter dem Kommando von Ali Suluk Reis (im Westen besser bekannt unter dem Namen Mehmet Sirocco), der Süden wurde vom osmanischen Admiral und Vizebefehlshaber der osmanischen Flotte, Uludsch Ali Pascha, befehligt.

Auch wenn im Norden die Galeassen mit ihren Kanonen tiefe Breschen in die feindliche Schlachtordnung schlugen, prallten hier die gegnerischen Schiffe bald aufeinander. Obwohl die osmanischen Soldaten überwiegend mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren, während die meisten Soldaten der Liga über schwere Feuerwaffen, die sogenannten Arkebusen, verfügten, gelang es den türkischen Truppen, das Schiff Barbarigos zu entern und ihn tödlich zu verwunden. Nur mit größter Not können die Venezianer ihr Schiff verteidigen, bis Verstärkung von einer Galeere aus dem Reservegeschwader eintrifft.

Als die „Sultana“ direkten Kurs auf die „Real“ nimmt, finden sich in kürzester Zeit über zwei Dutzend Galeeren im Kampf auf engstem Raum zusammen, in dessen Verlauf es zu dramatischen Nahkampfszenen kommt. Um die „Real“, die zunächst in der Defensive war, zu halten, sollen sogar Rudersklaven befreit und bewaffnet worden sein. Als die ersten Truppen der Liga schließlich zum Gegenangriff übergehen und die „Sultana“ entern, wird Ali Pascha von einer feindlichen Kugel tödlich in die Stirn getroffen. Dessen Kopf wird daraufhin abgeschlagen und weithin sichtbar präsentiert. Aufgrund des deshalb erlahmten Kampfwillens der osmanischen Truppen und der technischen Überlegenheit der Liga waren um die Mittagszeit alle türkischen Galeeren, die im Zentrum der Schlacht standen, erobert oder versenkt.

Am Südflügel waren die Osmanen allerdings zeitweise erfolgreich. Hier gelang es Uludsch Ali, die Flottenverbände der Liga aufzureiben und das Flaggschiff der Malteser zu kapern. Erst als Don Juan die Nachricht von der brenzligen Situation am Südflügel erhält, schickt er einen großen Flottenverband dorthin. Uludsch Ali gelingt es allerdings, mit etwa dreißig Galeeren zu entkommen und in Konstantinopel dem Sultan die erbeutete Flagge der Malteser zu übergeben. Nach etwa fünf­einhalb Stunden konnte die Heilige Liga endgültig ihren Sieg feiern. 110 Schiffe der osmanischen Flotte wurden versenkt, 117 Galeeren erbeutet. 30.000 türkische Soldaten verloren bei der Schlacht ihr Leben. Dagegen hielt sich der Verlust der Liga mit 13 Schiffen in Grenzen. Allerdings fielen auch hier etwa 8.000 Soldaten.

Die Bedeutung des Sieges war vor allem psychologischer Natur, denn der Mythos der Unbesiegbarkeit der osmanischen Flotte war gebrochen. Doch ausgenutzt wurde dieser Sieg nicht. Als die Venezianer Konstantinopel angreifen wollen, versagt Philipp II. seine Hilfe. Die Heilige Liga war damit Geschichte. Um sich ihre Privilegien im Levante-handel trotzdem zu sichern, machen die Venezianer weitgehende Zugeständnisse an den Sultan und treten Zypern 1573 in einem Separatfrieden offiziell an das Osmanische Reich ab. Dabei belehrte der Großvesir in Konstantinopel den venezianischen Botschafter über die Folgen von Lepanto: „Indem wir Euch das Königreich Zypern entrissen haben, haben wir Euch einen Arm abgetrennt. Indem Ihr unsere Flotte besiegt habt, habt Ihr uns nur den Bart abrasiert. Der Arm wächst nicht wieder nach, aber der Bart wächst nun um so dichter.“