© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Klagen über Warschaus „anti-europäische“ Geschichtspolitik
Nicht nur Helden und Opfer
(ob)

Polen ist ein Land, in dem die Geschichte viel bedeutet, möglicherweise zu viel.“ Das stellt ausgerechnet ein Historiker fest, Paweł Machcewicz, von 2007 bis 2017 Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Der ungewöhnlich hohe, aus multikulturell-deutscher Perspektive unbegreifliche Stellenwert, den Geschichte seit über 200 Jahren in Polen habe, erkläre sich natürlich „historisch“ (Kulturaustausch, 3/2021). Von 1795 bis 1918 lebte das polnische Volk unter Fremdherrschaft. In Ermangelung einer staatlichen Klammer konnte der patriotische Teil des Volkes die nationale Identität darum nur mittels Erinnerung an den „Glanz früherer Jahrhunderte polnischer Geschichte“ aufrechterhalten. Diese ideellen Zusammenhalt stiftende Funktion habe Polens Vergangenheit bis 1989 auch für die demokratische Opposition gegen das kommunistische Regime erfüllt, soweit sie etwa stalinistische Verbrechen wie die Massaker von Katyn (1940) im kollektiven Gedächtnis wachhielt. Aber leider habe auch die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Geschichte als „wichtigen politischen Treibstoff“ entdeckt, den sie zur „anti-europäischen Spaltung der Nation“ mißbrauche, indem sie Deutungen unterdrücke, die dem „Geschichtsbild der Polen als Helden und Opfer“ widersprechen. 


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