© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Amerikas Rachefeldzug
Am 7. Oktober 2001 begann die „Operation Enduring Freedom“ gegen islamistische Terrorbasen
Thomas Schäfer

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nur einen Tag später einstimmig die Resolution 1368. Darin wurden die Terrorakte als „Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bezeichnet und auf das „naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ gemäß Artikel 51 der UN-Charta verwiesen. Parallel hierzu stellte der Nato-Rat fest, daß die Anschläge zudem auch als kriegerischer Angriff auf die Vereinigten Staaten zu werten seien, wonach er dann am 2. Oktober 2001 den im Artikel 5 des Nordatlantikpaktes geregelten Bündnisfall ausrief.

Zu diesem Zeitpunkt schien bereits Klarheit darüber zu herrschen, wo sich die Hauptdrahtzieher des 11. September aufhielten, nämlich in Afghanistan. Am 20. September hatten die USA erklärt, hinter den Attentaten stecke die von Osama bin Laden geführte Terrororganisation al-Qaida, welche ihrerseits unter dem Schutz der radikalislamischen Taliban stehe, die große Teile des Landes am Hindukusch kontrollierten. Deshalb forderte Washington die Glaubenskrieger ultimativ auf, alle Anführer der al-Qaida an die USA auszuliefern. Dies jedoch lehnten die Taliban ab, so daß ein Militärschlag als die einzige noch verbleibende Option erschien.

Einsätze am Hindukusch, in den Philippinen und in Subsahara

Der Angriff erfolgte am Sonntag, dem 7. Oktober 2001, im Rahmen der nunmehr anlaufenden „Operation Enduring Freedom“, welche die erste und zugleich einzige militärische Großoperation während des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ war. Ihr Ziel bestand erklärtermaßen darin, Terroristen auszuschalten oder der Strafjustiz zuzuführen. Darüber hinaus sollten die Ausbildungslager der Terrormilizen zerstört und Sympathisanten abgeschreckt werden. Die ersten Kampfhandlungen bestanden in Luftangriffen auf die Infrastruktur der al-Qaida in Afghanistan durch Bomber und Marschflugkörper der USA und Großbritanniens. Später beteiligten sich dann zwischenzeitlich bis zu 70 Staaten an der „Operation Enduring Freedom“, wobei die Gesamtleitung beim United States Central Command (Centcom) mit Hauptsitz in Tampa (Florida) lag. Deutschland stellte ab Dezember 2001 ebenfalls Einsatzkontingente der Bundeswehr beziehungsweise Bundesmarine zur Verfügung, nachdem der Bundestag am 16. November grünes Licht hierfür gegeben hatte. Die deutsche Beteiligung endete faktisch am 29. Juni 2010.  

Aufgrund der räumlichen Verteilung der Basen der einzelnen Terrormilizen lagen die Operationsräume auch in ganz unterschiedlichen Regionen. An erster Stelle stand natürlich Afghanistan. Dazu kamen ab dem 15. Januar 2002 die Philippinen, wo US-Spezialkräfte an der Bekämpfung der radikalislamischen Milizen Abu Sayyaf und Jemaah Islamiyah mitwirkten. Außerdem stand nach dem Terroranschlag auf den US-Zerstörer „Cole“ vom 12. Oktober 2000 in der jemenitischen Hafenstadt Aden und den Bombenattentaten auf die amerikanischen Botschaften in Daressalam und Nairobi vom 7. August 1998 fest, daß auch im Raum rund um das Horn von Afrika militärische Präsenz vonnöten war. Hier lagen diverse instabile Staaten, in denen Terroristen ihr Unwesen trieben – allen voran jene, die dann 2006 in Somalia die Harakat al-Shabaab al-Mujahideen gründeten. Zudem führten durch das Seegebiet zwischen dem Südausgang des Suez-Kanals, der Küste von Ostafrika und dem Persischen Golf einige der wichtigsten Handelsrouten der Welt, die es unbedingt zu schützen galt. Die vorrangig maritime Teiloperation von „Enduring Freedom“ begann am 7. Oktober 2002 mit dem Einsatz der Kampfschiffe der Combined Task Force 150.

Darüber hinaus waren auch einige Regionen der Sahara oder südlich davon sowie das Pankissi-Tal in Georgien und die Karibik Schauplätze der Operation. Im ersteren Falle ging es gegen Organisationen wie die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), welche sich ab 2007 dann al-Qaida des Islamischen Maghreb nannte, während in Georgien ein bekanntes Rückzugsgebiet des internationalen muslimischen Terrorismus durchkämmt wurde. Beim Einsatz in den Staaten rund um die Karibik stand hingegen der Kampf gegen dort ansässige nichtislamische Terrormilizen im Vordergrund.

Während der „Operation Enduring Freedom“, die schließlich am 28. Dezember 2014 endete, wurden angeblich bis zu 72.000 Taliban in Afghanistan getötet – neben einigen hundert oder gar tausend Angehörigen anderer Terrorgruppen in den übrigen Operationsbereichen. Allerdings waren die Verluste unter den Kämpfern der Anti-Terror-Koalition ebenfalls sehr hoch, wobei die Sicherheitskräfte der Islamischen Republik Afghanistan, welche auf das Regime der Taliban folgte, mit 45.000 Gefallenen den höchsten Blutzoll entrichten mußten. Dazu kamen rund 3.600 Tote auf seiten der USA und ihrer übrigen Verbündeten. Darüber hinaus gab es aber auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung: allein in Afghanistan wohl über 40.000.

Heute gibt es mehr islamistische Terrormilizen als im Oktober 2001

Auch sonst fällt die Bilanz der „Operation Enduring Freedom“, deren Gesamtkosten sich möglicherweise auf eine Billion US-Dollar beliefen, gleichfalls eher durchwachsen aus. Zwar stießen der Kampf gegen den Terrorismus und der Wiederaufbau in Afghanistan unter der Ägide der International Security Assistance Force (ISAF) durchaus auf Zustimmung bei Teilen der Bevölkerung, jedoch sorgten die oftmals recht leichtfertig hingenommenen Kollateralschäden parallel auch für viel böses Blut. Das wiederum trieb den Terrororganisationen neue Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten zu, womit die „Operation Enduring Freedom“ quasi dem Kampf gegen eine vielköpfige Hydra glich, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwuchsen. Deshalb gibt es heute zahlenmäßig mehr radikalislamische Terrormilizen als im Oktober 2001. Und diese haben sich inzwischen auch viele neue Operationsgebiete erschlossen, so zum Beispiel in Schwarzafrika.

Noch fataler endete indes die Nachfolgeoperation von „Enduring Freedom“ namens „Freedom’s Sentinel“. Deren Zweck bestand vor allem darin, die Afghan National Army (ANA) in die Lage zu versetzen, die Islamische Republik Afghanistan künftig allein gegen die immer noch militärisch aktiven Taliban zu verteidigen. Allerdings war die ANA völlig unbrauchbar für diese Aufgabe, wie sich im August 2021 anläßlich des Abzugs der westlichen Truppen zeigte. Die Taliban konnten sehr schnell über die Regierungsarmee triumphieren und erneut ihr Islamisches Emirat proklamieren – dazu haben sie jetzt auch noch ein erobertes Waffenarsenal, wie es selbst manches Nato-Land gerne sein Eigen nennen würde.

Foto: US-Marines landen in der afghanischen Region Kandahar, Dezember 2001: Terroristen ausschalten