© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Zerwürfnisse werden bleiben
Jens Berger zieht eine abwägende Zwischenbilanz über Fehler und Wahrheiten der Corona-Maßnahmen
Mathias Pellack

Das Virus hat die Welt scheinbar geteilt – in jene, die Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi in dem Glauben an deren Redlichkeit zitieren und all jene, die von Jens Spahn und Karl Lauterbach alles unhinterfragt übernehmen, was diese über Sars-CoV-2 und seine Varianten sagen. Daß es noch einen rationalen Bereich zwischen den „Corona-Leugnern“ und den „Zeugen Coronas“ gibt, beweist der NachDenkSeiten-Redakteur Jens Berger mit seiner abwägenden Zwischenbilanz in Sachen Pandemie- und Maßnahmenschäden. 

Schon 2014 hatte Berger mit seiner breit aufgestellten Überblicksarbeit „Wem gehört Deutschland?“, einen Spiegel-Bestseller gelandet, der einige politisch instrumentalisierte Mythen aufbrechen konnte. Im „Schwarzbuch Corona“ trägt er nun zusammen, was die Politik gern ignoriert. Daß etwa Covid-19 eine sehr selektive Krankheit ist und mit folgenschwerem Verlauf fast ausschließlich immunschwache und alte Menschen trifft. Gleichzeitig widerspricht er unter anderem Wodarg explizit, dem zufolge es keine Pandemie ohne den PCR-Test gegeben hätte. 

In einem weiteren Kapitel nimmt sich Berger „Das Märchen von den zehn verlorenen Lebensjahren“ vor. Im Februar 2021 hatte eine Studie des Robert-Koch-Instituts Aufsehen erregt. Forscher mit guter Reputation hatten im angesehenen Deutschen Ärzteblatt eine Studie veröffentlich, die besagte, daß jeder Covid-19-Tote im Schnitt etwa 9,6 Lebensjahre verloren habe. „Bereits an dieser Stelle hätte man stutzig werden sollen,“ schreibt Berger und analysiert: bei einem Medianalter von 84 erscheinen zehn Jahre weitere Lebenserwartung recht hoch. „Dieser Eindruck täuscht jedoch.“ Ein 85jähriger könnte immer noch mit über fünf Jahren rechnen. „Und da die Angabe der RKI-Forscher den Durchschnittswert und nicht den Median nennt, der den mittleren Wert in einer Zahlenkolonne darstellt, findet eine Verzerrung durch die wenigen jüngeren Todesopfer statt, die rein statistisch noch sehr viele Jahre zu leben gehabt hätten.“ 

Desinformationen erschütterten Vertrauen in Pandemie-Konzepte

Doch damit nicht genug, so Berger, die Medien und die Forscher haben trotzdem ihre Studie zu hoch gehängt. „Die Studie unterscheidet nämlich nicht zwischen vorerkrankten und völlig gesunden Personen.“ 88 Prozent der in einer Hamburger Studie untersuchten Covid-Toten hatten eine oder mehrere schwere Vorerkrankungen. Berger schließt: Die RKI-Forscher haben also eine Kohorte mit „deutlich gesenkter Lebenserwartung mit dem Durchschnitt verglichen und sind dabei zu einem Ergebnis gekommen, das wissenschaftlich vollkommen unbrauchbar ist.“ Eine durch derartige Desinformation gespaltene Öffentlichkeit läßt sich nur schwer wieder zusammenführen und erschüttert das Grundvertrauen in die Maßnahmen  der Pandemiebekämpfung. Weshalb auch Bergers letzte Worte im Kapitel „Ein Blick in die Zukunft“ lauten: „Und davor habe ich Angst.“ Daß eben die Zerwürfnisse bleiben werden. Karl Lauterbach hatte übrigens recht, als er nach der ersten Welle vor der zweiten Welle warnte und ihn nur wenige ernst nahmen. Genauso recht hatte aber auch Sucharit Bhakdi als er vor, wenn auch sehr seltenen, so aber doch möglichen Blutverklumpungen in Folge der Impfungen warnte. Die europäische Arzneimittelbhörde (EMA) hatte seine Vermutung zwei Monate später bestätigt. 

Jens Berger: Schwarzbuch Corona. Zwischenbilanz der vermeidbaren Schäden und tolerierten Opfer. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2021, gebunden, 202 Seiten, 18 Euro

Foto: Demonstration gegen die Corona-Regeln, Berlin 2020: Die gesellschaftliche Kluft zwischen „Corona-Leugnern“ und den „Zeugen Coronas“ wird zunehmend unüberbrückbar