© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Von Abel bis zum Kreuzestod Jesu
Hyam Maccoby über religiös motivierte Menschenopfer
Werner Olles

Der britische Schriftsteller und Professor für Judaistik an der Universität Leeds, Hyam Maccoby (1924–2002), befaßt sich in seinem Werk „Der Heilige Henker“ mit den religiös motivierten Menschenopfern, vom Brudermord Kains an Abel bis zum „christlichen Zentralmythos“, der Kreuzigung Jesu, dem bekanntesten Justizmord der Geschichte an einem völlig Unschuldigen und Sündenlosen. Nach Maccoby war Jesus ein anti-römischer Rebell, tatsächlich ist aber das Christentum die klassische Konterrevolution schlechthin, weil es seinem ganzen Wesen nach Autorität, Hierarchie und Ordnung bejaht. Natürlich begann die jahrtausendelange Verschwörung gegen die Kirche mit dem Verrat des Judas Iskariot. Dieser Verrat an dem göttlichen Menschensohn wird vom Autor zum Beginn eines christlichen Antisemitismus umgedeutet. Doch hat es den nie gegeben, jedoch einen Antijudaismus, für den es in der Dogmatik, die immer auf philosophisch-theologischem Denken beruht, gute Gründe gab. 

Jesus Christus, der vor 2.000 Jahren seine Kirche gegründet hat, die heute bis in die höchsten Kreise einem modernistischen Heidentum verfallen ist, vom Apostel Judas verraten, an die Römer ausgeliefert, und auf Wunsch der Juden – Pilatus, dessen Frau Claudia bereits im Herzen Christin war, befragte die Juden mehrmals – den heils-geschichtlich notwendigen Kreuzestod erlitt, hat also keineswegs zum „Wiederaufleben der Menschenopferidee“ beigetragen, noch war sein Tod am Kreuz ein „Gründungsmythos der grandiosesten Art“, denn Jesus predigte bereits in seiner Jugend, daß er die sinnlosen Tieropfer der Juden restlos satt habe. Im übrigen stellt Maccoby das Problem von Glaube und Wissen falsch dar, denn der christliche Glaube steht nicht in einem kontradiktorischen Gegensatz zum Wissen, sondern in einem privaten Gegensatz zum Unglauben wie das Wissen zum Unwissen.

Darum enthält das Buch auch nichts Sensationelles und ist vor allem eines nicht, nämlich ein religiöses Erbauungsbuch für Atheisten und A-Theisten, die zu unterscheiden unsere Aufklärer geistig nicht einmal in der Lage sind. Halten wir uns an Voltaire, der mehr vom Bösen wußte als die meisten Philosophen seiner Zeit, und der vieles war, nur eines nicht: ein Atheist! Seine intellektuelle Erfassung geistiger Realitäten und einer gesunden Philosophie gipfelt in jenem Satz, der alles erklärt, was die kleinen Voltaires von heute mit ihrer Umkehrung aller Werte auf tragische Weise am Nazarener scheitern läßt: „Sathan! C’est le Christianisme tout entier; pas de Sathan, pas de Saveur.“ (Der Satan! Dies ist das ganze Christentum; kein Satan, kein Heiland.)

Hyam Maccoby: Der Heilige Henker. Vom archaischen Menschenopfer zum antiken Gotteslamm. Ahriman-Verlag, Freiburg 2021, 249 Seiten, 19,80 Euro