© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Tonkopf & Bandsalat
Umdrehen bitte: Die Kassette feiert ihre Wiederauferstehung
Bernd Rademacher

Dreh’ mal die Kassette um oder spul’ zurück.“ Hä? Wer nach 1990 geboren wurde, versteht diese Aufforderung vermutlich nicht. Oder doch? Neuerdings heißt es unter jungen Leuten immer öfter wieder: „Mist, Bandsalat!“

Als die CD Ende der Achtziger ihren Siegeszug antrat, starb langsam die Musikkassette aus. Drei Jahrzehnte war die von Philips entwickelte „Kompaktkassette“ oder kurz „MC“ der analoge Tonträger schlechthin. 2002 schloß der Top-Hersteller TDK sein deutsches Werk für die Magnetbänder.

Während sich die Vinyl-Schallplatte schon längst wieder erholt hat und die wenigen Preßwerke langfristig ausgebucht sind, wächst auch die Kassette langsam aber stetig wieder heran. Das Erstaunliche: Das Mini-Tonband ist gerade bei jüngeren Musik­liebhabern populär, die einen Kassettenrekorder nur von ihren Eltern kennen.

Doch in der Welt digitaler Musik nimmt offenbar die Sehnsucht nach haptischen Medien zu, die ein hochwertiges Erlebnis bieten. Ein ganz persönliches „Mix-Tape“ ist eben etwas ganz anderes als eine Spotify-Liste. Auch die selbst bespielbare MC kommt dem Konsumententrend entgegen, weniger ganze Alben, als eher einzelne Musikstücke zu hören.

Einige Stars veröffentlichen wieder auf Musikkassetten

War das damals spannend, wenn man reaktionsschnell die Tasten „REC“ und „PLAY“ auf dem Rekorder drückte, um den Lieblingssong aus dem Radio einzufangen. Und wie oft hat man sich die Haare gerauft, wenn der Moderator der Musiksendung in das Lied hineinquatschte und die Aufnahme ruinierte.

Mit der Rückkehr der Kassette kehren auch ausgestorbene Begriffe zurück, wie „den Tonkopf reinigen“. Und die Jugend lernt erneut, ein zu „Bandsalat“ verrutschtes Magnetband mit dem sechseckigen Bleistift wieder auf die Spule zu wickeln.

Die Musikkassette bietet zwar nur einen eingeschränkten Frequenzbereich, was von manchen Hörern als „wärmerer Klang“ interpretiert wird, ist aber deutlich robuster als kratzeranfällige LP oder CD und macht auch mal eine wildere Partynacht mit.

Gerade junge Bands finden es cool, ihre Lieder auf einer stylischen, selbst beschrifteten Kompaktkassette statt auf CD zu veröffentlichen. Doch anfangs waren die kleinen Bänder gar nicht mehr leicht zu bekommen. Für eine neue 90-Minuten-Kassette von Maxell bezahlt man im Schnitt fünf Euro. Eine gebrauchte BASF-Chrom-Kassette mit 90 Minuten bringt auf eBay immerhin einen Euro, mit dem Hinweis „vorher nur einmal bespielt“ – ob das stimmt?

Das Umdrehen zwischen A- und B-Seite sowie das Vor- und Zurückspulen wird von den Kindern der Internetgeneration so abenteuerlich empfunden, wie einen Oldtimer anzukurbeln. Musik zum Anfassen und Herumwerkeln. Früher war jeder Jugendheim-DJ genervt von Nerds, die mit einer Kassette zum DJ-Pult kamen: „Ey, spiel’ mal Stück 4 und 9 von der A-Seite“ – die nicht gerade optimale Praktikabilität hatte damals die CD befeuert.

Mit der Wiederkehr der MC steigt auch die Nachfrage nach Abspielgeräten, als stationäres „Tape-Deck“ oder als mobiler „Walkman“, der Lifestyle-Ikone der 1980er. Der Original-Sony-Walkman ist heute eine gesuchte Rarität mit Höchstpreisgeboten. Schwer wie ein Ziegelstein, aber unendlich hip mit dem Bügelkopfhörer und der Gürtelschlaufe. Wer weiß, vielleicht kommt bald auch der legendäre „Pioneer“- oder „Kenwood“-Aufkleber auf der Heckscheibe tiefergelegter Prollo-Porsches wieder zurück in den Alltag.

Eher unwahrscheinlich, denn der Verkauf von Musikkassetten nimmt zwar stetig zu, doch in absoluten Zahlen sind die Absätze  – etwa hunderttausend pro Jahr – kümmerlich im Vergleich zu den jährlichen Millionenstückzahlen in den Siebzigern und Achtzigern. 

Dafür verspricht der Hörgenuß mit dem authentischen Wiedergabemedium einen Hauch des Lebensgefühls der Analog-Ära. Inzwischen veröffentlichen auch Megastars wie AC/DC ihre (Neu-)Erscheinungen wieder als gute alte Musikkassette.

Doch wie lange hält der Trend noch an? Das Problem: Das Eisenoxid für die Ferro-Magnetbänder wird knapper und neue Chrombänder werden wegen ökologischer Standards deutlich weniger hergestellt. Wer also noch einen Karton mit alten Kassetten besitzt, kann damit auf dem Internet-Flohmarkt ein Geschäft machen.

Was wohl als nächste „Vintage“-Welle heranbrandet? Vielleicht kommt ja Omas altes Grammophon mit den Schellackplatten wieder zu neuen Ehren.