© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/21 / 01. Oktober 2021

Dreieinigkeit im Staatsdienst
Neue Erhöhung der Rundfunkgebühren: Das Bundesverfassungsgericht macht sich zum Büttel von Poltik und öffentlich-rechtlichen Medien
Ronald Berthold

Daß das Bundesverfassungsgericht die Erhöhung des Rundfunkbeitrages durchgesetzt hat, ist ein Fanal, das weit über die öffentlich-rechtlichen Sender hinausgeht. Wir blicken auf ein politisches System, in dem sich unterschiedliche Gewalten zum Wohl des Volkes kontrollieren sollen. Und wir entdecken, daß sie dabei zunehmend versagen – ja, versagen müssen.

Der Rundfunkbeitrag wird in einem dreistufigen Verfahren festgesetzt. Auf der ersten Stufe melden die Rundfunkanstalten ihren Finanzbedarf an. Auf der zweiten Stufe prüft die Kommission Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), ob sich die Programmentscheidungen im Rahmen des Rundfunkauftrages halten und ob der daraus abgeleitete Finanzbedarf im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ermittelt worden ist. Auf der dritten Stufe setzen die Länder den Beitrag fest. Dieser Beitragsvorschlag der KEF ist Grundlage für eine Entscheidung der Landesregierungen und der Landesparlamente.

Für die Beitragsperiode 2021 bis 2024 hat die KEF eine Beitragserhöhung vorgeschlagen, wonach der Rundfunkbeitrag zum 1. Januar 2021 um 86 Cent auf 18,36 Euro erhöht werden soll. Dieser Vorschlag der KEF ist im Ersten Medienänderungsstaatsvertrag aufgenommen worden, der im Juni 2020 von allen Regierungschefs der Länder – mit einer Protokollnotiz des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt – unterzeichnet worden ist. 15 der 16 Bundesländer haben dem zugestimmt. Lediglich Sachsen-Anhalt hat dem Medienänderungsstaatsvertrag nicht zugestimmt, infolge dessen der Staatsvertrag nicht in Kraft treten konnte.

Diese Ablehnung wurde von Karlsruhe für unzulässig erklärt. Die Richter urteilten: „Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten steht ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch zu.“ Und eine einzelne Gegenmeinung ist nicht vorgesehen. „Im gegenwärtigen System der Rundfunkfinanzierung ist eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung der KEF nur durch alle Länder einvernehmlich möglich.“ Hält ein Land das für geboten, muß es alle anderen davon überzeugen. Der neue Staatsvertrag und damit der höhere Rundfunkbeitrag sollte ab dem Tag des Urteils gelten.

Nicht nur das Urteil vom 20. Juli 2021 und dessen groteske Begründung, sondern auch das Umfeld, in dem es gesprochen wurde, haben Potential. Leider ein fatales. Es zerstört das Vertrauen in den Staat. Denn im Zusammenhang gesehen ist es ein Musterbeispiel dafür, wie die einst klare Trennschärfe zwischen Regierung, Parlament, höchster Rechtsprechung und öffentlich-rechtlichen Medien verschwimmt.

Kanzlerin lädt instinktlos oberste Richter zum Essen ein

Man fragt sich: Befindet sich in dem undifferenzierten Vorwurf, alle steckten unter einer Decke, mehr als ein Körnchen Wahrheit? Bleibt die praktizierte Gewaltenteilung, auf der ein demokratischer Rechtsstaat basiert, auf der Strecke?

Wir leben inzwischen in einem Land, in dem es die Kanzlerin nicht mal mehr als Instinktlosigkeit begreift, alle Richter des Verfassungsgerichts, die ohnehin von den Parteien ausgesucht werden, kurz vor wichtigen Entscheidungen zum Dinner einzuladen. Und die Geladenen – die höchsten Vertreter der Judikative – zeigen bei dieser Kumpanei mit der Spitze der Exekutive auch keinerlei Hemmung. Jedem kleinen Amtsgerichtsvorsitzenden würde das eine knallende Befangenheits-Backpfeife einbringen.

Es ist aber auch niemand mehr da, der diese Fraternisierung einen Skandal nennt. Niemand, der Angela Merkel und die Richter durchrüttelt und sie fragt: Wollt ihr das Ansehen des Staates völlig demolieren? Das müßte in einem funktionierenden System die vierte Gewalt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, tun. Doch der fällt aus, holte sich lieber Merkels Regierungssprecher als ARD-Vorsitzenden.

Ob in der geselligen Runde über anstehende Verhandlungen, wie die gegen Kanzlerin Merkel selbst oder über den Rundfunkbeitrag, gesprochen wurde, spielt keine Rolle. Es ist das Klima insgesamt, das rechtstaatszersetzend wirkt.

Wenn der Verfassungsgerichtspräsident, der das Urteil zum Rundfunkbeitrag verkündete, vorher als Fraktionsvize der CDU/CSU im Bundestag amtierte, müßte das die Öffentlichkeit bestürzen. Stephan Harbarth, den die Bild-Zeitung zu Recht als „Merkels Mann in Karlsruhe“ bezeichnet, hat nie zuvor ein Richteramt ausgeübt. Nun brachte er es mit seinem Senat fertig, eine Begründung hinzulegen, die die Blase verdeutlicht, in der sich alle drei Gewalten und die Medien eingerichtet haben.

Ins Lächerliche abgleitende Wirklichkeitsverweigerung

Mit ins Lächerliche abgleitender Wirklichkeitsverweigerung heißt es darin, daß in Zeiten „von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes“ die Bedeutung des beitragsfinanzierten Rundfunks wachse. Als ob sich nicht insbesondere ARD, ZDF und Deutschlandradio den Vorwurf der Einseitigkeit hart erarbeitet hätten. Und als wenn sie nicht auch bei der Verbreitung von „Fake News“ dabei wären. 

Es waren diese Sender, die bei der „Flüchtlings“-Welle die Lüge von massenhaft zu uns fliehenden Frauen und Kindern verbreiteten, während in Wirklichkeit vorwiegend junge muslimische Männer kamen. Und die von hochqualifizierten Akademikern sprachen, die den Fachkräftemangel beseitigen würden. Tatsächlich fand eine Einwanderung in die Sozialsysteme statt. Es waren diese Sender, die jeden, der die Fakten aussprach, aus dem Diskurs ausschlossen. Die von ARD und ZDF angerührte toxische Mischung aus bösartiger Einseitigkeit und „Fake News“ hat zur Spaltung des Landes beigetragen.

Es waren diese Sender, die von einer nie stattgefundenen, aber von Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Sprecher, Ex-ZDF-Mann Steffen Seibert, erfundenen „Hetzjagd“ in Chemnitz berichteten. Sie haben es geschafft, daß die sächsische Stadt heute mit Ausländerfeindlichkeit in Verbindung gebracht wird und nicht mit dem Mordanschlag mehrerer Flüchtlinge auf Stadtfest-Besucher.

Es sind diese Sender, die zu Corona fast nur die der Regierung genehmen Experten zu Wort kommen lassen und maßnahmenkritische Wissenschaftler als Verschwörungstheoretiker abstempeln. Es sind diese Sender, die die Abschaffung der Grundrechte verteidigen und auch bei der Diskussion über den Klimawandel aus der im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebenen Ausgewogenheit eine Einseitigkeit fabriziert haben, die nicht mehr weit von der im Staatsfernsehen Rußlands oder Chinas entfernt ist.

Erschüttern muß auch, daß Karlsruhe die Entscheidung frei gewählter Volksvertreter aus Sachsen-Anhalt, die Beitragserhöhung abzulehnen, für verfassungswidrig erklärt. Dies bedeutet nichts anderes, als daß diese Abstimmungen in den Länderparlamenten das Prädikat „scheindemokratisch“ verdienen. Die Abgeordneten dürfen laut höchstem Gericht nichts anderes als zustimmen.

Und es heißt auch, daß der Beschluß der demokratisch viel weniger legitimierten „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) für das Verfassungsgericht einen höheren Stellenwert genießt als die Entscheidung eines Landtags. Und weiter gedacht zeigt es, daß die KEF mehr Bedeutung erhält als die Grundrechte. Diese konnte die Regierung im Namen der Gesundheit einschränken und zum Teil abschaffen, ohne daß die Richter ihr in den Arm gefallen wären.

Vom Bundestag, der Legislative, haben die Deutschen ohnehin nicht mehr viel zu erwarten. Der hat sich per Beschluß in der existentiellen Frage der Gewährung von Freiheitsrechten demonstrativ und ausdrücklich selbst entmachtet.

Zusätzliche 381 Millionen Euro fließen nun dank Verfassungsgericht in die Kassen des bisher schon mit jährlich 8,1 Milliarden Euro teuersten Rundfunks der Welt. Bezahlen muß jeder. Egal, ob er die Propaganda über sich ergehen läßt oder nicht. Wer sich weigert, kommt in Deutschland sogar ins Gefängnis. Niemand aus dem gewaltengeteilten Land setzt sich für jene Menschen ein, die behandelt werden wie Schwerverbrecher. Niemand wirft die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Nicht die Regierung, nicht das Parlament. Die Sender schon gar nicht. Und auch das höchste deutsche Gericht nicht.