© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Grüner Koch und gelber Kellner
Jeder mit jedem und alle mit den Grünen: Welches Dreierbündnis auch entsteht – es wird teuer
Michael Paulwitz

Die Breitbeinigkeit der Grünen hat das Platzen der Kanzlerträume und der Absturz aus dem Umfrage-Olymp kaum angekratzt. Die Grünen hätten den „klaren Auftrag“, die nächste Bundesregierung zur „Klimaregierung“ zu machen, krähte die gescheiterte „Kanzlerkandidatin“ Annalena Baerbock noch am Wahlabend, und die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Britta Haßelmann setzte mit drohendem Unterton noch einen drauf: Dieser Auftrag sei „größer als unser Ergebnis“.

Damit werden sie wohl auch durchkommen. Die sozialistische Einheitsfront-Variante Rot-Grün-Blutrot hat zwar keine Mehrheit bekommen; das linke Dogma, mit dem Gottseibeiuns rechts der Mitte dürfe niemand reden oder gar zusammenarbeiten, haben aber auch Union und FDP längst verinnerlicht. Vom etablierten Rest kann jeder mit jedem und alle mit den Grünen. Es ist also im Grunde egal, welches Dreierbündnis – die Neuauflage der „GroKo“ unter umgekehrten Vorzeichen gilt als unwahrscheinlichste Variante – am Ende aus dem Karussell von Sondierungen und Koalitionsverhandlungen hervorgeht: Die Grünen sind immer dabei und geben auch den Ton vor.

Zumal sie sich im Willen zur Macht mit der FDP einig sind, die nicht noch einmal Prinzipientreue über Ministersessel stellen möchte. Die Reihenfolge der Verhandlungsrunden macht bereits klar, wie sehr sich die Gewichte im deutschen Parteiensystem verschoben haben und wo das Machtzentrum einer künftigen Dreier-Koalition liegen wird: Die grün-gelbe „Zitrus-Koalition“ entscheidet, wer unter ihr Kanzler werden darf. Beide zusammen bringen mehr Stimmengewicht auf die Abstimmungswaage als die Union mit ihrem historisch schlechtesten Ergebnis, aber auch als die SPD, die sich wegen ein paar Prozentpunkten Zugewinn zum bisherigen Tiefpunkt für den Wahlsieger hält.

In der „Zitrus-Koalition“ sind die Grünen Koch und die FDP Kellner. Das läßt sich schon nach den ersten gemeinsamen Auftritten an der Biegsamkeit ablesen, mit der Christian Lindner und seine Partei die Unterschiede zwischen ihrem liberalen Restgedankengut und dem ökosozialistischen Eiferertum der Grünen verwischen.

Gesellschaftspolitisch ist die FDP schon länger auf Linkskurs. Der Gleichschritt, in dem FDP und Grüne sich noch im Mai im Bundestag für den leichteren „Geschlechtswechsel“ auch von Minderjährigen eingesetzt haben, war ein deutliches Signal. Bei der weiteren Entgrenzung des Abtreibungsrechts, dem Abräumen der letzten Hürden für vorgeburtliche Kindstötungen während der gesamten Schwangerschaft oder des Werbeverbots für Abtreibungen, rennen die grünen Fundamentalisten bei der FDP offene oder wenigstens halbgeöffnete Türen ein.

Mit der Legalisierung von Cannabis oder dem allgemeinen Wahlrecht ab 16 Jahren, zwei weiteren symbolträchtigen Forderungen aus dem Grünen-Programm, hat die Lindner-Partei, die sich zudem gerade in ihrer Beliebtheit bei Jung- und Erstwählern sonnt, ebenso keine Probleme. Auch auf eine harte Linie gegenüber Rußland und China zugleich werden sich beide in gemeinsamer Weltmacht-Selbstüberschätzung rasch einigen können.

An der Migrationspolitik wird eine gemeinsame Regierungsbeteiligung von Grünen und FDP ebenfalls nicht scheitern. Schon im Wahlkampf waren zahlreiche FDP-Stimmen für „Fachkräfte“-Einwanderung im großen Stil zu hören; was die Erleichterung der Einbürgerung von Migranten betrifft, geht das FDP-Programm sogar noch weiter als das der Grünen. Das Abstellen des grassierenden Asylmißbrauchs zur illegalen Einwanderung oder eine strengere Rückführung nicht aufenthaltsberechtigter Zuwanderer spielt dagegen bei beiden nur eine untergeordnete Rolle.

Zwar definiert die FDP mit großem Aplomb „rote Linien“ bei der Schuldenbremse und bei Steuererhöhungen, aber die Hintertüren werden gleich mitgeliefert. Schulden lassen sich trefflich in Fonds und Sondervermögen auslagern, wenn sie denn nur als „Investitionen“ ausgewiesen werden; und ob Energiebesteuerung nun als „CO2-Bepreisung“ oder von oben verordneter „Emissionshandel“ daherkommt, das Ergebnis dürfte für die Bürger das gleiche sein: Es wird teuer. Eine grundsätzliche Abkehr von staatlich reglementierter „Klimaschutz“-Politik ist weder von der FDP zu erwarten noch von einer der ins Auge gefaßten Kanzlerparteien.

Das letzte Wort über einen möglichen Koalitionsvertrag hätten bei den Grünen ohnehin die Mitglieder. Und da führen die Radikalen der Grünen Jugend, die auch in der größer gewordenen Bundestagsfraktion stärker vertreten sind, das große Wort: Leute wie die Schwarz-Rot-Gold-Hasserin Jamila Schäfer, die in München ein Direktmandat für die Grünen holte. Oder die Neu-Bundestagsabgeordnete Emilia Fester, die per „Klimapaß“ bis zu 200 Millionen „Klimaflüchtlinge“ nach Deutschland holen will. Eine Forderung, hinter der auch die ebenfalls neu in den Bundestag gewählte stellvertretende Parteivorsitzende Ricarda Lang steht, die sogar der Sondierungsdelegation angehört.

Im günstigsten Fall könnte die FDP in einer von den Grünen dirigierten Regierung allenfalls erreichen, daß die schlimmsten Exzesse ökosozialistischer Politik verhindert oder wenigstens abgeschwächt würden. Selbst das ist fraglich, denn je greifbarer eine Regierungsbeteiligung wird, desto größer wird das Gewicht der Linksliberalen in der FDP und der Druck, das Staatsverständnis der Liberalen im Namen des „Klimaschutzes“ zu überdenken. Mit geradezu orwellesken Verrenkungen ist die FDP-Führung bereits dabei, sich ihre Kapitulation vor dem grünen „Klima“-Primat schönzureden. Der „Klimaschutz“, heißt es neuerdings, sei doch auch ein „Freiheitsthema“. Von da ist es nicht mehr weit bis zur Baerbock-Rabulistik, wonach Verbote ja auch Innovationstreiber sein könnten.

Das böse Erwachen kommt wohl erst, wenn Sprit- und Energiepreise in unbezahlbare Höhen steigen und die ersten Großstädte bei Stromausfall im Kalten und Dunkeln sitzen. Die Grünen, orakelt ihr Chef Robert Habeck, der sich selbst schon zum kommenden Vizekanzler ausgerufen hat, würden in den nächsten vier Jahren die Regierung „nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen“, sofern „wir uns nicht komplett dämlich anstellen“. Ausgerechnet darauf zu spekulieren wäre eine mehr als fragwürdige Wette auf die Zukunft des Landes.