© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ländersache: Berlin
Eine Schweinswahl
Ronald Berthold

Der Skandal um die Wahlen in Berlin weitet sich aus. Geschätzte statt gezählte Ergebnisse, Wahlbeteiligungen von mehr als 100 Prozent, viele ungültig gemachte Stimmen, ausgegangene oder vertauschte Wahlzettel, Stimmabgabe noch Stunden nach Schließung der Wahllokale sowie Wähler, die nach Hause geschickt wurden. Jetzt kommt heraus: Bei der Briefwahl konnten Nicht-Wahlberechtigte Bundestag und Abgeordnetenhaus wählen.

Der Bundeswahlleiter hatte seine Berliner Kollegin auf das Schlupfloch für unter 18jährige und EU-Ausländer zunächst vergeblich hingewiesen. Diese waren nur für die Kommunalwahl stimmberechtigt, konnten aber auch die anderen Wahlzettel in die Kuverts stecken. Wie groß die Manipulation ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) bestreitet jede Verantwortung des Senats: „Was wäre das für ein Land, in dem die Regierung über die Durchführung von Wahlen, die Gültigkeit von Stimmzetteln und Wahlergebnissen entscheiden würde?“ Rot-Rot-Grün verweist auf die Landeswahlleiterin. Die ist aber zurückgetreten, ohne ein Wort über den Skandal zu verlieren. So bleibt zum Beispiel ungeklärt, wie es zuerst zum knappen Sieg einer SPD-Direktkandidatin in Charlottenburg-Wilmersdorf kommen konnte, der später in einen 23-Stimmen-Triumph des Grünen umgewandelt wurde. Denn in einem Wahlbezirk lag die Beteiligung bei 117 Prozent. Auch anderswo tauchten Phantomstimmen auf. 

Ebenfalls in Charlottenburg-Wilmersdorf haben tagelang für 22 Wahlbezirke identische Wahlergebnisse vorgelegen. „Eine Schätzung“, wie der Bezirk auch gut eine Woche nach der Stimmabgabe einräumte. Die Grünen erklärte der Bezirk überall mit einem Rekordergebnis von 27,2 Prozent zum Sieger. Die AfD wurde auf 5,0 Prozent eingefroren.

Laut einer RBB-Datenanalyse sind in mindestens 99 Berliner Wahlbezirken zu viele ungültige Stimmen aufgetaucht. Das habe, so die Verantwortlichen, an vertauschten Stimmzetteln gelegen. Jeder, der einen falschen Schein ausgehändigt bekam, wählte unwissentlich ungültig. Zudem gingen vielfach die Stimmzettel aus. Manche durften mit Nachschub bis 20 Uhr wählen, als längst die Hochrechnungen liefen. Andere sollen nach Hause geschickt worden sein, weil keine Chance mehr auf eine Stimmabgabe bestand. Dies sei „glatt rechtswidrig“, erklärt der Humboldt-Uni-Professor für Öffentliches Recht, Christian Waldhoff. Daß es in der Hauptstadt unmöglich erscheine, „demokratische Wahlen angemessen zu organisieren“, sei nicht nur „peinlich, sondern zugleich ein gravierendes Demokratieproblem“. Er sieht „den Grundsatz der Freiheit der Wahl“ beeinträchtigt.

Ob die Wahl wiederholt werden muß, wie zunächst sogar der in seinem Wahlkreis knapp unterlegene Kultursenator Klaus Lederer (Linke) forderte, bleibt offen. Beschwerden dürfen in Berlin – anders als auf Bundesebene – nur Parteien und Direktkandidaten einreichen, nicht die Bürger. „Die Partei“ will das tun. Dafür hat sie zwei Monate nach Bekanntgabe des Endergebnisses Zeit. Dieses soll am 14. Oktober vorliegen.