© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

„Früher hätte man das im Duell gelöst“
AfD im Bundestag: In einer Marathonsitzung bilden die Abgeordneten – bis auf einen – eine Fraktion / Denkzettel bei Vorstandswahl
Christian Vollradt

Zwei Tage hatte sich die AfD Zeit genommen, um in der vergangenen Woche eine neue, ihre nunmehr zweite Bundestagsfraktion zu bilden. Zeit, die offenbar auch nötig war. Denn erst bei der zweiten Zusammenkunft, am Donnerstag, hatte sich die Fraktion offiziell konstituiert – zwar mit einigen Gegenstimmen, aber das seien wohl eher versehentliche gewesen, hieß es anschließend aus Teilnehmerkreisen. 

Noch bevor es zur mit Spannung erwarteten Wahl des Fraktionsvorstands kam, sollte nach dem Willen der Mehrheit der Abgeordneten über das Ergebnis der Bundestagswahl debattiert werden. Und als der bisherige Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland dieses als im großen und ganzen positiv bewertete, da war – nach Auskunft von Anwesenden – der Applaus überschaubar. Ähnlich wie bei der Pressekonferenz der Parteispitze am Tag nach der Wahl (JF 40/21) gingen auch hier die Meinungen auseinander, ob es nun ein Erfolg war, den Wiedereinzug in den Bundestag mit einem zweistelligen Ergebnis geschafft zu haben; oder ob der Urnengang wegen der deutlichen Verluste insbesondere in den westlichen Bundesländern doch weniger Anlaß zur Freude bietet.

Es blieb nicht das einzige strittige Thema. Zwei Personalien erhitzten zudem die Gemüter. Der Antrag, den direkt gewählten Abgeordneten Matthias Moosdorf aus dem sächsischen Zwickau nicht in die Fraktion aufzunehmen, wurde mehrheitlich abgelehnt. Moosdorf hatte sich als Mitarbeiter des mittlerweile verstorbenen Bundestagsabgeordneten Martin Hebner unter anderem wegen in Rundschreiben an die Fraktion geäußerter Kritik am bisherigen Fraktionsvorsitzenden Gauland Feinde gemacht – vor allem bei Anhängern des ehemaligen „Flügels“. Die andere umstrittene Personalie betraf den neu in den Bundestag gewählten stellvertretenden Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen AfD, Matthias Helferich. Gegen den 33jährigen wurde eine Ämtersperre verhängt, weil er sich in einem mehrere Jahre zurückliegenden privaten Chat als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet hatte. Helferich betonte stets, damit ironisch eine Zuschreiben linker Blogger aufgegriffen zu haben, ein Parteiausschlußverfahren hatte der Bundesvorstand der AfD mehrheitlich abgelehnt. Doch mehrere Abgeordnete, darunter der bisherige innenpolitische Sprecher der Fraktion, Gottfried Curio, äußerten erhebliche Bedenken. Ihre Befürchtung: Helferichs Äußerungen würden der Fraktion immer wieder vorgehalten. Der nordrein-westfälische Bundestags-Neuling verzichtete schließlich aufgrund dieser Gegenwehr auf eine Mitgliedschaft in der Fraktion. Möglich, daß er zunächst einen Gaststatus erhält. 

Eher holprig verlief dann auch der Weg zur Wahl der neuen Fraktionsführung. Zunächst waren zwei Verfahrensfragen zu klären: Bleibt es bei der Doppelspitze? Und wenn ja, wird diese im sogenannten Tandemverfahren gemeinsam oder wird jeder der beiden Co-Sprecher einzeln gewählt? Am Ende blieb es wie es war. 47 Abgeordnete votierten für eine Doppelspitze, 29 sprachen sich für einen alleinigen Vorsitzenden aus. Denkbar knapp dann die Entscheidung in Sachen Wahlmodus: Hier gab es einen Gleichstand von 37 zu 37 Stimmen. Ein typisches AfD-Ergebnis ... Das bedeutete jedoch, daß es keine Mehrheit für eine Änderung gab, und so wurden beide Fraktionsvorsitzenden zusammen gewählt. Damit war bereits eine Vorentscheidung für das Führungspersonal gefallen. Denn schon imVorfeld hatten die beiden Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla klargemacht, sie würden gemeinsam für den Vorsitz kandidieren. 

„Hätte er einzeln kandidiert, wäre sein Ergebnis besser gewesen“

Und so blieben die bisherige Vorsitzende und der bisherige Vize ohne Gegenkandidaten. Das Ergebnis: 50 Stimmen für die beiden, 25 gegen sie. Beobachter sehen in dem Resultat einen Denkzettel. Und der richtete sich vor allem an Alice Weidel. Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Kritik an ihr wegen fehlender Führung gegeben. „Hätte Tino Chrupalla einzeln kandidiert, wäre sein Ergebnis deutlich besser gewesen“, äußerte mehr als ein Fraktionskollege anschließend hinter vorgehaltener Hand. 

Zu stellvertretenden Vorsitzenden wählten die Abgeordneten Sebastian Münzenmaier, Beatrix von Storch, Leif-Erik Holm, Corinna Miazga und Norbert Kleinwächter. Die bayerische Abgeordnete Miazga, die sich gegen ihre beiden Mitbewerber Mariana Harder-Kühnel und Thomas Ehrhorn durchsetzte, kandidierte erst, nachdem in einem vorherigen Wahlgang weder der Abgeordnete Kay Gottschalk aus Nordrhein-Westfalen noch sein Konkurrent Martin Hess, ein erklärter Gefolgsmann von Fraktionschefin Alice Weidel, eine Mehrheit für sich verbuchen konnten. 

Als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) wurde Bernd Baumann wiedergewählt. Weitere PGFs sind der bisherige Justitiar Stephan Brandner sowie Götz Frömming und Enrico Komning, die dieses Amt bereits in der vorigen Fraktion bekleidet hatten.

Wie „gärig“ die AfD immer noch ist, bekam der Urheber dieser Zustandsbeschreibung, Alexander Gauland, erneut am eigenen Leib zu spüren. Zwar wurde der Grandseigneur der AfD zum Ehrenvorsitzenden der Fraktion gewählt; allerdings erst, nachdem festgelegt worden war, daß er kein Stimmrecht haben wird. Im Verlauf der zuweilen als hitzig beschriebenen Debatte habe nach übereinstimmenden Berichten Gauland einen seiner Kritiker mit den Worten angefahren, so etwas habe man „früher im Duell gelöst“.

Das Resümee der ersten Zusammenkunft fiel dementsprechend recht unterschiedlich aus. Äußerten sich die einen zufrieden über die personelle Kontinuität an der Spitze der Fraktion, meinten die anderen eher augenrollend, das könne ja noch heiter werden, wenn es so weitergeht.