© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Eigen-mächtig abwesend
Bundeswehr: Eine erste Debatte zur Bilanz des Afghanistan-Einsatzes sagen viele Abgeordneten ab / AfD: „Respektlos“
Christian Vollradt

Annegret Kramp-Karrenbauer hat wirklich Pech. Erst machen der Bundesverteidigungsministerin die Taliban einen Strich durch den Terminplan, dann auch noch die Abgeordneten des Bundestags, darunter ihre eigenen Unions-Parteifreunde. Die sollten eigentlich eingebunden werden in die diese Woche startenden Gespräche zur Aufarbeitung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Es müsse darüber gesprochen werden, „was gut war, was nicht gut war und was wir gelernt haben“, so die Ministerin. Die Mission am Hindukusch habe auch das Selbstverständnis deutscher Streitkräfte sowie „die Rolle des politischen Westens als globaler Ordnungsfaktor“ besonders geprägt und verändert.

Doch zu Beginn der Woche hatten die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP ihre Teilnahme an der Auftaktveranstaltung des Verteidigungsministeriums abgesagt. Der vom Ministerium anberaumte Termin sei „ignorant“ und „denkbar ungünstig“, meinte die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Unmittelbar nach der Bundestagswahl ist man bei den Gelben, Grünen, Roten und – ein bißchen auch bei den Schwarzen – mit ersten Sondierungen in Sachen künftiger Koalitionen beschäftigt. Da verhallt der Ruf einer ohnehin wohl bald ehemaligen Ressortchefin. Und ausgerechnet die AfD ist es, die nicht von der Fahne flieht. 

Ursprünglich hätte die Auftaktveranstaltung zur Afghanistan-Bilanz bereits am 25. August stattfinden sollen. Doch just zu diesem Zeitpunkt brach in Kabul das Chaos aus, als die afghanische Nationalarmee nach dem Abzug der westlichen Streitkräfte kampflos vor den Taliban die Waffen streckte. Der weitere Verlauf ist bekannt: Hals über Kopf mußten deutsche Fallschirmjäger, die Luftwaffe sowie Soldaten des eben noch „unter Bewährung“ stehenden Kommandos Spezialkräfte eine gefahrvolle Evakuierungsoperation starten und eine Luftbrücke organisieren.

Ein Ministeriumssprecher sagte am Montag, man habe die Absage der Fraktionen „zur Kenntnis genommen“. An der Veranstaltung halte man fest. „Wir meinen, daß wir das den Soldatinnen und Soldaten schuldig sind – die Würdigung, aber auch die Bilanzierung“. Intern soll im Bendlerblock die Absage der Parlamentarier nicht ganz so neutral zur Kenntnis genommen worden, sondern durchaus auf Kritik gestoßen sein. 

Keinerlei Verständnis für das Verhalten seiner Kollegen aus den anderen Fraktionen hat der Abgeordnete Peter Felser (AfD). Er war als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der vergangenen Wahlperiode zur Auftaktveranstaltung eingeladen, um über die Bilanz des Afghanistaneinsatzes aus der Sicht des Bundestags zu diskutieren. „Die Konferenz war gedacht, um Lehren aus dem Afghanistandesaster der Bundeswehr zu ziehen und die tödlichen Fehler in zukünftigen Einsätzen zu verhindern“, sagte Felser der JUNGEN FREIHEIT. Die AfD habe diesen Einsatz immer abgelehnt. „Daß die Parteien, die diesen Einsatz begonnen und jahrelang mitgetragen haben, aufgrund parteipolitischer Spielchen eine ernsthafte Aufarbeitung boykottieren, ist an Respektlosigkeit gegenüber den Soldaten nicht zu übertreffen“, empörte sich Felser. Angesichts von 59 toten deutschen Soldaten, 125 Verletzten sowie  Hunderten psychisch Geschädigter sei es beschämend, daß sich die verantwortlichen Parteien mit sich selbst beschäftigten anstatt mit einer gründlichen Auswertung des 20jährigen Einsatzes. 

„An Respektlosigkeit gegenüber den Soldaten nicht zu übertreffen“

Am Mittwoch kommender Woche findet dann der Große Zapfenstreich vor dem Reichstag statt, mit dem dann die Soldaten aller Einsatzkontingente noch einmal eine besondere Würdigung“ durch den Bundespräsidenten, den Bundestag und die Bundesregierung erfahren sollen. Auch dieser Zapfenstreich hätte eigentlich schon früher, nämlich Ende August stattfinden sollen; auch hier war die dramatische Lageänderung in Afghanistan der Grund für die Verschiebung. Noch im Vorfeld hatte es ein Tauziehen über den Ablauf und den Ort gegeben. Ursprünglich sollte das Zeremoniell auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums stattfinden. Befeuert durch den schofeligen Umgang mit den heimgekehrten Soldaten des letzten Kontingents, die ohne politische Prominenz auf dem niedersächsischen Fliegerhorst Wunstorf gelandet waren, hatte man dann umgeplant.

Ob es gelingt, einerseits die politischen Fehler des deutschen Engagements in Afghanistan aufzuarbeiten und andererseits die fast zwanzigjährige Mission am Hindukusch für die daran beteiligten und zum Teil an Leib und Seele versehrten Soldaten würde- und ehrenvoll abzuschließen, muß sich noch zeigen.