© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Der weiße Schwan ist wieder da
„Gorch Fock“: Nach über zweitausend Tagen Abwesenheit kehrt das legendäre Segelschulschiff der Marine in seinen Heimathafen Kiel zurück
Paul Leonhard

Sind Seeleute heute noch abergläubisch? Wohl kaum. Zumindest die von der deutschen Marine nicht. Wer würde sonst noch Dienst auf der „Gorch Fock“ tun? Der Dreimaster scheint vom Pech verfolgt. Seine jüngste Geschichte ist gezeichnet von Pannen, Bauverzögerungen und Kostensteigerungen. Kaum hatte das Schiff nach zweijähriger Sanierung Anfang September die Lürssen-Werft zu einer ersten Testfahrt verlassen, fiel der Motor aus, mußten Schlepper gerufen werden. Und das nach zweijähriger Sanierung und insgesamt sechsjähriger Diskussion über deren Zweckmäßigkeit.

Kein Wunder, daß das Segelschulschiff aus der Werft ohne Jubel entlassen wurde. Man dürfte aufgeatmet haben, als das Einlaufen in Wilhelmshaven, wo das Schiff am letzten Septembertag an die Marine übergeben wurde, und die Weiterfahrt in den Heimathafen Kiel am Montag glückten. Irgendwie ist die „Gorch Fock“ in den vergangenen Jahren nicht nur ein Symbol für den Niedergang der deutschen Streitkräfte geworden, sondern für Deutschland insgesamt. Dabei galt das Schiff einst als Botschafter eines Landes, das ebenso traditionsbewußt wie der Zukunft zugewandt war. Einen ersten Schatten warf der Unfalltod zweier Kadettinnen 2008 und 2010.

Die Sanierungsarbeiten begannen dann im Dezember 2015. Rückblickend spricht Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes, von einer „Chronik der Pleiten, Pech und Pannen, der Prestigesucht, Kostenexplosion und Steuergeldverschwendung“.

Statt ursprünglich veranschlagter zehn stiegen die Kosten auf 135 Millionen Euro. Experten hatten das angesichts der entdeckten Schäden – ihnen war klar, daß bis auf den Kiel fast alles zu ersetzen war – längst vorausgesagt, aber der Öffentlichkeit wurde das nur scheibchenweise beigebracht. Schließlich war die Äußerung der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, daß diese „Gorch Fock“ und kein Neubau weiter segeln soll, auch für ihre Nachfolgerin zur Doktrin geworden.

Dabei blieb es auch, als die mit der Sanierung beauftragte Elsflether Werft im Februar 2019 Insolvenz anmeldete und sich die Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen des Verdachts auf Korruption, Betrug und Untreue im Umfeld der Werft zu ermitteln begann. Da waren schon rund 70 Millionen Euro ausgegeben.

Fragen der Wirtschaftlichkeit haben aber nie eine Rolle gespielt, wie die Ministeriumsspitze gegenüber dem Bundesrechnungshof gar nicht kleinlaut zugab. Eine Kostenkalkulation? Gab es nicht. Sonst hätte sich die Marine wohl für die Abwrackung des 1958 in Dienst gestellten Schiffes und einen Neubau entscheiden müssen. In Kiel wurde das Segelschulschiff am Montag feierlich in Empfang genommen. Das Marinekommando ist froh, den „weißen Schwan“ wieder zur Verfügung zu haben. „Wir brauchen es dringend für die Ausbildung“, sagte ein Sprecher. Tatsächlich ist nur auf einem solchen Großsegler, der viele starke Hände benötigt, die praktische Ausbildung auf See erlernbar. 

Während Nils Brandt, Kapitän zur See und Kommandant der Bark, überzeugt ist, daß die „Gorch Fock“ „noch mindestens 25 Jahre der Marine für Ausbildung der Offizieranwärter zur Verfügung stehen, damit zum Crewgeist beitragen und den Charakter der jungen Menschen prägen wird“, fürchtet BdST-Chef Holznagel weitere Millionen Euro an Kosten. So soll das Schiff alle zweieinhalb Jahre für vier bis fünf Monate gecheckt werden. Die „Gorch Fock“, so Holznagels Prognose, werde den Steuerzahler weiter belasten.

Neue Kadetten sollen erstmals Anfang 2022 in Teneriffa an Bord gehen. Dann gibt es endlich wieder einen Ausbildungstörn unter vollen Segeln.