© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ein Enfant terrible bringt Frischluft
Der französische Publizist Éric Zemmour und die Präsidentschaftswahl: Lästiger Konkurrent für Etablierte
Friedrich-Thorsten Müller

Ein Gespenst geht um unter Frankreichs Rechten, und das heißt Éric Zemmour. Gut sechs Monate vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2022 scheint das politische Frankreich nichts mehr zu beschäftigen als die mögliche Kandidatur des scharfzüngigen Schriftstellers und Polemikers berberisch-jüdischer Herkunft, den man sich als eine feinsinnige Mischung aus Thilo Sarrazin, Michael Klonovsky und Donald Trump vorstellen kann. Seit Monaten geben Zehntausende Nutzer „Likes“ für Unterstützungsseiten einer Zemmour-Kandidatur in den Sozialen Medien. Irgendwann wurde der Ruf nach dem omnipräsenten Fernsehjournalisten von CNews dann so laut, daß auch die Meinungsumfragen begannen, sich für ihn zu interessieren.

Zwar hält sich Zemmour bezüglich seiner Ambitionen noch bedeckt und sieht den Zeitpunkt noch nicht gekommen, seinen Hut in den Ring zu werfen. Aber seine plötzlich vielfach „präsidialen“ Aussagen, sein auf einmal konsequentes Krawatte-Tragen wecken Erwartungen, die der 63jährige kaum noch ohne Gesichtsverlust enttäuschen kann. Auf Einladung der ungarischen Rechten war er Ende September zusammen mit dem Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon in Budapest – und wurde von Ministerpräsident Viktor Orbán empfangen. Hinzu kommt, daß die französische Medienaufsicht inzwischen bei CNews die Abberufung Éric Zemmours aus den von ihm kommentierten Sendungen durchgesetzt hat, da sie diese ab sofort als Wahlwerbung betrachtet.

Eric Zemmour ist Autor vielbeachteter politischer Essays, darunter „Der französische Selbstmord“ sowie „Das erste Geschlecht“. In letzterem prangerte er die Feminisierung der Männer an und warnte vor der Gefahr des Zusammenbruchs der gesellschaftlichen Grundlagen durch den wachsenden Einfluß von Frauen. Der Titel des Buches von 2006 spielte auf Simone de Beauvoirs feministisches Manifest „Das zweite Geschlecht“ an.

In der französischen veröffentlichten Meinung werden Zemmours Ansichten als rechtsextrem hingestellt. Ihm wird Antifeminismus, Assimilationismus gegenüber Einwanderern, Souveränismus, das heißt ein Engagement für die Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität Frankreichs gegenüber der europäischen Integration und der Globalisierung sowie Antiliberalismus, radikale Islamkritik und „Leugnung“ des Klimawandels vorgeworfen. Daß er für ein wahrhaft „katholisches Frankreich“ eintritt, ist da nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

Die Ambitionen Zemmours sind für die Konservativen ein Problem

Noch sieht den „Noch-nicht-Kandidaten“ niemand in der Stichwahl um das Präsidentenamt. Trotzdem wird inzwischen jede ernstzunehmende Umfrage in den zwei Varianten „mit und ohne Zemmour“ durchgeführt. So sah vergangenen Montag Ifop-Fiducial für Le Figaro Zemmour bei zwölf bis 15 Prozent, während die nach Präsident Emmanuel Macron bisher zweitplatzierte Marine Le Pen auf 18 bis 21 Prozent käme. Ohne Zemmour wird sie bei für die Stichwahl sicheren 25 Prozent gesehen. In anderen Umfragen trennt Zemmour sogar nur noch ein Prozentpunkt von der Vorsitzenden des Rassemblement National.

Entsprechend blank liegen bei dieser die Nerven, zumal auch ihr Vater, der Gründer des Front National Jean-Marie Le Pen, verlauten ließ, sich eine Unterstützung Zemmours vorstellen zu können. Ein weiterer diesbezüglicher Tiefschlag aus dem eigenen Lager war Anfang September der Vorschlag des RN-nahen Bürgermeisters von Béziers, Robert Ménard, für eine öffentliche Debatte zwischen Marine Le Pen und Eric Zemmour. Der Termin kam letztlich nicht zustande, weil man sich auf das Format der Diskussion nicht einigen konnte.

Nicht minder problematisch sind die möglichen Ambitionen Zemmours aber für die konservative, frühere Präsidentenpartei „Les Républicains“. Dort fürchtet man für die erste Runde der Präsidentschaftswahl nicht nur die Verdrängung auf den vierten Platz. Zusätzlich hat man Angst vor einer möglichen „feindlichen Übernahme“ der Präsidentschaftskandidatur durch Zemmour. Schließlich hatten die Republikaner 2016 ihren Kandidaten François Fillon in einer offenen Urwahl bestimmen lassen, an der sich auch Nicht-Mitglieder beteiligen konnten. Wer 250 Unterstützungsunterschriften von Republikaner-Mandatsträgern vorwies, durfte sich zur Wahl stellen, an der sich 4,4 Millionen Wähler – überwiegend Nicht-Parteimitglieder – beteiligten. Es ist vor allem diese Drohkulisse, aufgrund derer die Republikaner nun am 4. Dezember lieber einen Kongreß mit Delegierten über ihren Macron-Herausforderer entscheiden lassen.

Wie sich eine Kandidatur Zemmours indes in den „Mühen der Ebene“ behaupten wird, läßt sich im Moment schwer abschätzen. In Frankreich wird wenige Wochen nach dem Präsidenten auch ein neues Parlament gewählt. Ohne eine Mehrheit dort läßt sich kaum regieren. Im französischen Mehrheitswahlrecht haben aber Quereinsteiger, die nicht aus der politischen Mitte kommen, sowohl in den Wahlkreisen als auch als Präsidentschaftskandidat kaum eine Siegeschance. Äußerungen wie Zemmours aktuelle Forderung, daß Migranten französische Vornamen annehmen und sich assimilieren sollten, werden der Gewinnung von Mehrheiten nicht unbedingt zuträglich sein. Selbiges gilt für seine Reputation als „vorbestrafter Islamophobiker“, zum Beispiel aufgrund einer öffentlichen Aufforderung an Einwanderer, „sich zwischen dem Islam und Frankreich zu entscheiden“.