© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Einige Weihnachtsgeschenke kommen zu spät
Logistik-Branche: Der drohende Lieferkollaps hat vielfältige Ursachen / Mangel an verfügbaren Containern und Schiffskapazitäten
Martin Krüger

Als am 9. Februar 2019 das 400 Meter lange Megaschiff „Ever Given“ die Elbfähre „Finkenwerder“ rammte und schwer beschädigte, war das bloß eine Lokalmeldung. Doch am 23. März dieses Jahres lief der in Panama registrierte Seegigant mit einer Transportkapazität von über 20.000 Containern im Suezkanal auf Grund. Der wichtigste Meerwasserkanal auf der Transportverbindung Südostasien-Europa war sechs Tage lang blockiert. Die Havarie verursachte einen Riesenstau und verlängerte massiv die Fahr- und auch Auslieferungszeiten von Gütern.

Doch das „Ever Given“-Malheur ist nicht die Hauptursache der Überlastung in der globalen Transportbranche. Etwa 65 Millionen Arbeitskräfte zählt die Logistiksparte weltweit, und Experten warnen schon lange vor einem Zusammenbruch der Lieferketten. Schon jetzt ist absehbar, daß auch einige Weihnachtsgeschenke wohl zu spät kommen werden. Woran liegt das Ganze? Die Branche verbindet Containerschiffe, Häfen, Lager und Flugplätze mit den Liefernetzwerken an Land und in der Luft. Matrosen, Lkw-Fahrer, Lokführer und Flugpersonal haben während der Corona-Krise tapfer durchgehalten, aber jetzt sind sie platt.

Der Generalsekretär der Internationalen Schiffahrtskammer (ICS), Guy Platten, warnt, daß die Unterbesetzung auf Schiffen und in den Häfen steigt. Da Millionen von Arbeitern während der Pandemie schlecht behandelt wurden, fürchten die Verbände, daß noch mehr Kollegen die Branche verlassen und die Lieferketten weiter unter Druck bringen. Und viele Matrosen würden sich weigern, neue Verträge zu unterzeichnen. Sie möchten nicht erneut das Risiko eingehen, zu Weihnachten nicht zu Hause zu sein. Corona setzte den Fokus auf das medizinische Personal, aber dabei blieb weitgehend unbeachtet, daß durch die Grenzschließung und Hafenstaus viele Besatzungen bis zu 18 Monaten nicht von Bord gehen durften: Etwa 400.000 Matrosen saßen unter prekären Verhältnissen fern von Heimat und Familien fest.

Manche wurden sechsmal geimpft, da nicht alle Länder alle Corona-Impfstoffe anerkannten. Der Brexit bringt die innereuropäischen Lieferketten durcheinander. Selbst am Brennerpaß zwischen Nord- und Südtirol gab es Staus, da Vorschriften oft über Nacht geändert wurden: „Die Fahrer und die Firmen und Bürger, die die von ihnen beförderten Güter brauchen, zahlen einen hohen Preis für fehlgeleitete Corona-Beschränkungen, die auch die Beschäftigten im Transportwesen treffen“, klagt Umberto de Pretto, Generalsekretär der Straßentransportunion IRU. Die Regierungschefs der UN-Staaten wurden daher in einem offenen Brief verschiedener Logistikverbände vor einem „Kollaps des globalen Transportsystems“ gewarnt.

Doch die meisten Firmen können und wollen nicht mehr zahlen. Sie verlangen die „freie Bewegung“ für Transportarbeiter aus allen Ländern – das ist nachvollziehbar. Aber dies ermöglicht auch, Forderungen nach mehr Lohn mit der Drohung zu begegnen, ansonsten Billigkräfte aus ganz armen Ländern einzustellen. Ein anderes Problem sind fehlende Containerkapazitäten. Wegen der Erfahrungen mit Konjunkturflaute nach der Lehman-Pleite 2008 war hier 2020 fast alles storniert worden. Jetzt wird wieder geordert und gebaut. Denn die Corona-Krise änderte das Konsumverhalten: Die Nachfrage nach in Asien produzierten Gütern steigt und steigt. Doch nun fehlen Container, Schiffe sind überbucht und verspätet. Massenweise liegen Waren in den Häfen. Und die Lieferfristen für neue Containerschiffe betragen zwei bis drei Jahre.

Internationale Schiffahrtskammer:  www.ics-shipping.org