© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Aus dem Angstkomplex ausbrechen
Videoaktion #allesaufdentisch: Künstler und Wissenschaftler wollen einen offenen Dialog über das Corona-Krisenmanagement
Thorsten HInz

Statt zu resignieren, stellen sie Courage unter Beweis, und zwar jene Courage, die Stolz, Bekennermut und freiheitlichen Geist bedeutet und sich abhebt vom autoritätshörigen Mitläufertum, das heute von der staatsnahen Propaganda zur „Zivilcourage“ veredelt wird: Mehr als 50 Künstler unterschiedlicher Genres haben sich aus Sorge über „die Entwicklung des politischen Handelns in der Corona-Krise“ an der Video-Aktion „#allesaufdentisch“ beteiligt. Sie fordern „einen breitgefächerten, faktenbasierten, offenen und sachlichen Diskurs“ darüber.

An der Spitze stehen die Schauspieler Volker Bruch („Babylon Berlin“) und Wotan Wilke Möhring („Tatort“), die bereits im Frühjahr 2021 an der Aktion „Allesdichtmachen“ beteiligt waren („Manifest des gesunden Menschenverstandes“, JF 18/21). Damals hatten mehr als 50 Schauspieler in satirischen Kurzvideos gegen die Erdrosselung des kulturellen Lebens durch eine von Kulturlosen dominierte Corona-Politik protestiert. Diesmal werden gut 50 Spezialisten unterschiedlicher Profession – Medienexperten, Mediziner, Juristen, Publizisten, Ökonomen, Sprachwissenschaftler usw. – teils in Video-, teils in Audiobeiträgen von jeweils gut 20 Minuten Länge zu verschiedenen Aspekten des Hygiene-Regimes befragt. Den auf Youtube abrufbaren Beiträgen sind jeweils kurze Zusammenfassungen vorangestellt. 

Es ist bemerkenswert, daß die Damen und Herren Mai Thi Nguyen-Kim, Drosten, Lauterbach, Precht, Söder, Spahn, RKI-Chef Wieler usw., die in Sachen Corona den Ton angeben, ihre Teilnahme verweigert haben.

Der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen von der Universität München skizziert im Gespräch mit Volker Bruch die Genese und Wirkungsweise der sogenannten „Faktenchecker“. Zunächst handelte es sich um eine Selbsthilfegruppe amerikanischer Journalisten, die sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht länger blind auf die Darstellungen der Bush-Regierung verlassen wollten, die auf Militärinterventionen in Afghanistan und Irak zusteuerte. Spätestens 2015 wurden sie „gekapert“, das heißt, die Bezeichnung wurde vom International Fact-Checking Network vereinnahmt, das sich der weltweiten Zusammenführung von Faktenprüfern widmet und von großen Stiftungen wie George Soros’ Open Society Foundations und von Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanziert wird. Unter seinem Dach versammeln sich große Zeitungen, Nachrichtensender und Agenturen aus den USA und Europa. Auch das deutsche Zentrum Correctiv, das teilweise aus öffentlichen Haushalten gespeist wird, ist mit von der Partie. Hauptanliegen ist nun nicht mehr die Validität behaupteter Fakten, sondern ein ominöses Allgemeinwohl. Wo ursprünglich die Narrative der Regierung hinterfragt und überprüft wurden, geht es jetzt darum, konkurrierende Sichtweisen zu delegitimieren. „Faktenchecker sind Propagandamaschinen, die sich als Journalismus verkleiden. Das gilt auch für den Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks oder den Faktenfinder der Tagesschau, die es nur gibt, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht den Pluralismus liefert, für den wir ihn eigentlich bezahlen.“ 

Der bekannte Medienanwalt Joachim Steinhöfel teilt im Gespräch mit Wotan Wilke Möhring die Erfahrungen aus seiner beruflichen Praxis mit. Sogar ein Zitat von Heinrich Heine kann heute unter das Verdikt der „Haßrede“ fallen. Steinhöfel kennt aus erster Hand den Konformitätsdruck, die Gefahr der sozialen Ächtung und die beruflichen Risiken, die jemand eingeht, der sich anders äußert als von der Regierung und den großen Medien vorgegeben wird. Er muß mit der Kündigung von Mietverträgen und Bankkonten rechnen, die auch Familienangehörige treffen können. Journalisten betätigen sich unmittelbar als Denunzianten, indem sie bei den Banken anrufen und sie auf vermeintlich zweifelhafte Kunden aufmerksam machen. Zu den perfiden Folgen des neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gehören auch Hausdurchsuchungen. Steinhöfel sieht die digitale Kommunikation von einem Silicon-Valley-Regime kuratiert, das darüber befindet, wie über die Corona-Problematik verhandelt werden darf. Auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Uno dürfe man sich diesbezüglich keine Vorgaben machen lassen, denn diese internationalen Organisationen würden von nichtdemokratischen Staaten dominiert.

Im Gespräch mit der Schauspielerin Isabelle Barth beschreibt der Jurist und Publizist Milosz Matuschek, ehedem Kolumnist der Neuen Zürcher Zeitung und stellvertretender Chefredakteur des Magazins Schweizer Monat, den Medienbetrieb in Pandemie-Zeiten als dysfunktional. Statt einer freien und kritischen Berichterstattung gebe es einen kuratierten Debattenraum. Es werde eine Blickfeldverengung kultiviert und ein „falscher Konsens“ fabriziert. Als Gegenmittel helfe nur die Stärkung unabhängiger, neuer Medienstrukturen.

Für den Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz hat mit der Pandemie-Berichterstattung „eine kollektive Angststörung von (inter-)nationaler Tragweite“ um sich gegriffen. „Auffällig sind dabei die politisch-medial geschürte Panik und die aktive Verhinderung eines wissenschaftlichen Diskurses aller Maßnahmen und ihrer Folgen, wobei vor allem kritische Stimmen ausgegrenzt bis diffamiert werden. Der Angstkomplex läßt zunehmend eine autoritär-totalitäre Normopathie entstehen.“ Der Begriff bezeichnet die Anpassung des menschlichen Verhaltens an falsche öffentliche Normen. Maaz weiter: „Eine Demokratie kann nicht mit Eliten überleben, deren Macht nicht mehr von Sachkompetenz und psychisch-moralischer Reife, sondern von Narzißmus und Geld getragen wird. Ein direkter oder indirekt geduldeter Impfzwang bedeuten das Ende der Demokratie und wären ein erschreckendes Versagen des Medizinsystems.“ Kurzum: Die bundesdeutsche Gesellschaft ist im Begriff, dem kollektiven Schwachsinn zu verfallen und sich in eine hörige Schafherde zu verwandeln.

Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, die vor noch gar nicht so langer Zeit abenteuerliche Visionen über ein Neu-Aleppo und Neu-Damaskus in Vorpommern ventilierte, ist durch Corona geerdet worden. Sie spricht mit der Schauspielerin Nina Proll über die Ausgrenzungstendenzen, die in den aktuellen Diskussionen um 3G oder 2G erkennbar sind. Allen Ernstes sollen größere Teile der Bevölkerung von der Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen ausgeschlossen und damit de facto ihrer bürgerlichen Rechte beraubt werden. Weiterhin legen Mediziner und Datenexperten dar, daß die suggestiv vorgetragenen Zahlen von Erkrankungen und Todesfällen in Wirklichkeit wenig besagen, weil die Bezugsgrößen fehlen. Weiterhin wird über die Abhängigkeit von Wissenschaft und Forschung von den Big-Pharma-Geldern gesprochen.

Die politisch-medialen Reaktionen auf die Aktion klingen formal weniger aggressiv und drohend als auf „#allesdichtmachen“, doch sind sie ähnlich eindeutig. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat umgehend mit einer Presserklärung reagiert, die ohne Einsicht und Selbstkritik auf die Beiträge von Michael Meyen und Joachim Steinhöfel eingeht. Die Überschrift lautet: „Unappetitliches aufgetischt“. Im Fall von „Allesdichtmachen“ hieß es: „Nicht mehr ganz dicht ...“ Das verwundert nicht. Man muß sich immer vor Augen führen, daß es sich beim DJV um die adäquate Organisation eines in weiten Teilen heruntergekommenen, demoralisierten Berufsstandes handelt.

Das häufigste Wort, mit dem die Aktion bedacht wird, lautet „umstritten“. Unter normalen Umständen bezeichnet das Adjektiv das vorläufige Ergebnis eines unabgeschlossenen Erkenntnisprozesses: Eine Behauptung, eine These steht im Raum, einiges spricht dafür, doch der letzte Beweis fehlt; es gibt Gegenthesen, die kaum weniger plausibel erscheinen und mit ihr im Streit stehen. Bis sie entweder bewiesen oder widerlegt ist, hat die These daher als „umstritten“ zu gelten. 

Die Medien jedoch meinen etwas anderes. Sie benutzten „umstritten“ als ein stigmatisierendes Vorab-Prädikat, als ein abwertendes Framing, das Menschen oder Meinungen angeheftet wird und soviel bedeutet wie: verwerflich, unseriös, dubios, verdächtig, hart an der Grenze des Erlaubten stehend, eigentlich sie schon überschreitend. Das Wort trifft alle, die sich kritisch zum politisch-medialen Mainstream äußern. 

Eine neutrale, objektive Bezeichnung für die Aktion wäre „streitbar“. Schließlich ist Streitbarkeit die unverzichtbare Eigenschaft eines Künstlers, denn Kunst – so der Medienwissenschaftler und Semiotiker Umberto Eco in seinem Klassiker „Das offene Kunstwerk“ – evoziert einen neuen, überraschenden Blick auf das Gewohnte – und sorgt damit für produktiven Streit. Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung dagegen behauptet, die Aktion ziele auf „die grundsätzliche Erschütterung des öffentlichen Vertrauens in wissenschaftliche Kompetenzen“ ab, erneuert sie damit nur die eigene Fehlfunktion. Sie agiert nämlich als Verlautbarungsorgan des regierungsfrommen Status quo, zu dem die faktische Monopolisierung der analogen und jetzt auch digitalen Medien durch eine Einheitsmeinung zur Pandemie-Problematik gehört.

Stefan Pannens 1992 erschienene, heute mehr denn je lesenswerte Untersuchung zur Funktion und zum Selbstverständnis der DDR-Journalisten heißt „Die Weiterleiter“. Zur Funktion des „Weiterleiters“ schreibt er: „Durch ihn flossen die Informationen der Partei, die er weiterleitete. Überdies sollte er die Massen selbsttätig anleiten, schließlich war er Funktionär der Partei …“

Ein weiterer Funktionärstyp ist der politisierende Dünnbrettbohrer, der wissenschaftlich ein Leicht-, im politisch-medialen Zitierkartell jedoch ein Schwergewicht bildet. So verlautete der Deutschlandfunk, eine DPA-Meldung aufgreifend, daß nach Ansicht eines „Experten für Verschwörungsideologien“ die Aktion ein „schädliches Narrativ“ befeuere. Über die Schauspieler und Künstler verbreiteten sich wissenschaftliche Minderheitenmeinungen über die Pandemie-Leugner-Szene hinaus, diese würden als Mehrheitspositionen dargestellt, sagte der Politikwissenschaftler Josef Holnburger. „Durch einen wissenschaftlichen Anschein werden die Beiträge aufgewertet.“ Die Arbeitsstelle dieses „Experten“ und Politik-Bachelors ist das „Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)“, das nach eigenen Angaben die „interdisziplinäre Expertise zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus“ bündelt. Hinter dem pompösen Titel steckt ein stiftungsfinanzierter, interessengeleiteter Fünf-Mann-Betrieb, von dem man eines gewiß nicht erwarten kann: eine Stätte des unabhängigen akademischen Geistes zu sein. Überhaupt wird der Kultur-, Medien- und Universitätsbetrieb immer mehr von Normopathen okkupiert, die zur Selbstreflexion unfähig sind. 

Die Künstleraktionen „#allesdichtmachen“ und „#allesaufdentisch“ haben die Vertretung der fehlenden Öffentlichkeit übernommen, sie sind ein letzter öffentlicher Ort, an dem noch Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden. Seit dem Künstlerprotest in der DDR gegen die Biermann-Ausbürgerung im November 1976 hat es das im deutschen Sprachraum nicht mehr gegeben.

Die Aktion im Netz:  https://allesaufdentisch.tv/

Foto: Solisten des Stuttgarter Balletts performen während der Kunstaktion „Social Distance Stacks“ des Künstlers Florian Mehnert an der John Cranko Schule in einem PVC-Ball das Ballettstück „Giselle“: Die Aktion will thematisieren, wie sich der in der Corona-Pandemie notwendige Abstand auf Menschen auswirkt und wie wichtig Nähe als Bestandteil des sozialen Miteinanders ist