© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Lautstark marschiert der endlos scheinende Kreuzzug von größtenteils Kleinkindern. Ausgerufen von der Heiligen „Fridays for Future“-Kongregation, ziehen sie zum „Klimastreik“ die Schönhauser Allee entlang, mit von den Erziehern eingepeitschten Losungen, etwa: „Wir sind hier, wir sind laut / Weil ihr uns die Zukunft klaut.“ Während ich die gespenstische Zeremonie des grünen Totalitarismus mit dem iPhone festhalte, stürmt eine Erzieherin auf mich zu: „Sie dürfen hier nicht filmen.“ Darauf ich: „Doch, darf ich, in bin Presse.“ Darauf sie: „Nein, aber das sind Kinder.“ Darauf ich: „Aber Sie dürfen die Kinder hier instrumentalisieren?“ Letztlich unentschlossen eilt sie ihren Schutzbefohlenen hinterher – eine Flucht von unfreiwilligem Symbolcharakter. 

Ich dichte ab: „Schweinezucht mit Völkerrecht / Bekommt den Menschen meistens schlecht.“

Bereits am nächsten Morgen, einen Tag vor der Bundestagswahl, gilt: „Alles was zählt“ – so erklärt meine Nachbarin, die in der gleichnamigen RTL-Serie spielt und alles andere als eine AfD-Sympathisantin ist, in verschwörerischem Ton: „Christian, wenn wir hier normale Verhältnisse im Land hätten, müßte die AfD morgen 60 Prozent bekommen.“ In der Tat, handelte es sich um ein alkoholisches Getränk mit diesem Anteil, wäre Deutschland sofort blau. Einen Abend später, da sich auf dem Bildschirm das grüne Spitzenduo zeigt, um sogleich die „Die Sprache des Grünen Reiches“ (Bernd Zeller, Solibro-Verlag) zu reproduzieren, dichte ich den ideologischen Zug, der mich medial anweht, erst mal ab: „Schweinezucht mit Völkerrecht / Bekommt den Menschen meistens schlecht. // Und in der Farm der Tiere / Sagt Annalena / Ich hab’ jetzt Bock / Und ich regiere.“ Aber noch haben wir Schwein. Doch nicht lange. 


Als ich mich jüngst beim befreundeten Gastronom des Cafés „im Westsektor“ über den anhaltenden Corona-Maßnahmestaat beklage, erklärt dieser, daß das für ihn kein Problem sei. Auf meine Frage weshalb, entgegnet er (in dieser Sekunde offenbar bar jeder Ironie): „Ich bin damals in einer Diktatur aufgewachsen, wieso sollte das dann heute für mich ein Problem sein?“ Kaum habe ich über diese opportunistische Weise den Kopf geschüttelt und mich an das „Großraumgefängnis“ DDR erinnert, werde ich von der Geschichte eingeholt: Kam ich in der DDR noch um eine konkrete Haftstrafe herum, ereilen mich jetzt die Schikanen des Covid-19-Polizeistaates, zu dem die Bundesrepublik Deutschland augenscheinlich mutiert ist – offenbar ebenso fließend wie der Virus selbst. Draußen las ich jüngst an einer Hauswand in Blockbuchstaben den Spruch: „Die Polizei – Kein Freund und Helfer.“ In der Tat: So kündigt mir das Amtsgericht Tiergarten wegen angeblicher Verstöße gegen die Pandemie-Vorschriften (so der kafkaeske Vorwurf, ich hätte mich unerlaubt außerhalb meiner Wohnung aufgehalten) die „Erzwingungshaft von 6 Tagen“ an, die angeordnet werde, da ich die Strafe von 300 Euro noch nicht bezahlt habe – dafür muß ich noch viele Kolumnen schreiben. Mein Gastronom aber findet, das sei eine einzigartige Gelegenheit: „Geh doch einfach in das Gefängnis, dann hast du was, worüber du schreiben kannst.“ Mir reicht’s schon jetzt.