© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Einen inneren Drang verspüren
Kino: Eine Musik-Doku feiert die Sparks. Aber wer ist das?
Dietmar Mehrens

Hätten Roxy Music und Queen irgendwann beschlossen, gemeinsam Musik zu machen, dann hätte sich das Ergebnis so anhören können wie die Platten der Sparks. Manchmal klingen sie auch wie Kraftwerk, wie die Beach oder die Pet Shop Boys oder wie ... Kurzum, die Sparks sind ganz schön vielseitig. Die Sparks, das sind Ron und Russell („Russ“) Mael, zur Welt gekommen 1945 und 1948 in Kalifornien. Regisseur Edgar Wright hat ihnen mit „The Sparks Brothers“ ein filmisches Denkmal gesetzt, indem er Schnappschüsse, Archivaufnahmen, lustige Trickfilmsequenzen sowie O-Töne von Russ, Ron und vielen Wegbegleitern zu einer Dokumentation montiert hat, die keinerlei kritische Distanz zum Gegenstand seiner Verehrung erkennen läßt.

Der frühe Tod des Vaters wirft einen jähen Schatten auf die damals acht- und elfjährigen Brüder. Doch er schweißt auch zusammen. An der Universität von Kalifornien in Los Angeles probieren sie sich künstlerisch aus. Ein Film, inspiriert von der französischen Nouvelle Vague, erweist sich als eher nicht zukunftsweisend. Bei der Musik sieht es anders aus. Ihr erster Erfolg ist das Lied „Computer Girl“. Dabei hatten beide damals – wir schreiben das Jahr 1966 – gar keine Ahnung, was ein Computer ist. Mit dem Gitarristen Earle Mankey gesellt sich schließlich ein Profi zu dem Duo, der weiß, wie man so etwas wie eine Musikgruppe professionell aufzieht. Die Musiker nennen sich zunächst Halfnelson, was dem Musikverlag zu avantgardistisch ist. Sie benennen sich um in Sparks Brothers und sind schließlich einfach nur die Sparks.

 „Wenn es euch nicht gefällt, mir egal!“

Die beiden Brüder ergänzen sich kongenial: Ron, anfangs wegen seines Adolf-Hitler-Bärtchens verspottet, ist das exzentrische, aber introvertierte kreative Genie, Russ der eher extrovertierte Sänger und branchenübliche Mädchenschwarm. Als in den USA der Karrieremotor stottert, wechseln sie 1973 nach Großbritannien, der Wiege des Beat. Ein Auftritt bei Top of The Pops bringt die Wende. Mit dem Album „Kimono My House“ (1974) und der Leadsingle „This Town Ain’t Big Enough for Both of Us“ gelingt ihnen der Durchbruch. Was nun folgt, ist eher atypisch in der Musikbranche: Statt Drogen, Sex-Skandalen und zerstörerischen Zerwürfnissen, die Bands in der Musikgeschichte serienweise aus dem Ring geboxt haben, bleiben die beiden – trotz wechselnder Besetzungen, Agenturen und Musikproduzenten – sich treu. Konstanz ist ihr Erfolgsrezept und Rons Hitler-Bärtchen in Wahrheit übrigens ein Charlie-Chaplin-Bärtchen.

Das Motto der beiden Künstler: „Wenn es euch nicht gefällt, mir egal!“ Denn so definieren Russ und Ron Populärmusik: als etwas, das man macht, weil man einen inneren Drang dazu verspürt. Die beiden geistern durch Musikstile und -genres wie die Flixbus-Flotte durch Europa und erfinden sich immer wieder neu. Nicht immer gehen die Fans mit. In den achtziger Jahren beginnt eine sechsjährige Durststrecke, die in einem gescheiterten Filmprojekt mit Regielegende Tim Burton gipfelt.

Wenig später dann aber doch die spektakuläre Wiederauferstehung: Die Frank-Sinatra-Hommage „When Do I Get to Sing ‘My Way’“ von dem Album „Gratuitous Sax & Senseless Violins“ (1994) wird nicht nur der Oberhit, es dürfte auch das Lied sein, das alle Deutschen, denen der Name Sparks auf Anhieb nichts sagt, aufhorchen läßt. Das von BMG in Deutschland produzierte Stück gewann einen Preis des Privatsenders Radio Schleswig-Holstein und hat echte Ohrwurm-Qualitäten. 

Bis heute sind die Sparks-Brüder aktiv. Sie kooperierten mit dem britischen Rockquintett Franz Ferdinand und wirkten an dem Filmprojekt „Annette“ des französischen Regisseurs Leos Carax mit. Das Werk eröffnete dieses Jahr in Cannes die Filmfestspiele. Und im gleichen Jahr kommt mit Edgar Wrights Musik-Doku gleich noch ein Film mit den Sparks in die Kinos. Der ist mit fast zweieinhalb Stunden für alle, die die Musiker nicht in ihrer Spielliste haben, zwar eindeutig zu lang, aber zu denen dürften diejenigen, die für diesen Film ins Kino pilgern, ohnehin nicht gehören.

Kinostart ist am 7. Oktober 2021