© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/21 / 08. Oktober 2021

Ein Bußgeldverfahren läuft bereits
Telegram unter Druck: Forderungen, das NetzDG anzuwenden, werden lauter
Gil Barkei

Rechte Aktivisten, konservative alternative Medien und unangepaßte Stimmen, die bei den Big-Tech-Firmen gelöscht wurden, nutzen Telegram. Doch auch Drogendealer und andere Kriminelle setzen auf den russischen Instant-Messaging-Dienst mit dem verschlüsselten Chatsystem. Eine Studie der Plattform zum Schutz vor digitalen Risiken Cyberint und der Financial Times erklärte Telegram kürzlich gar zu „einer immer wichtigeren Alternative zum Darknet“ und verzeichnete einen „Anstieg der Telegram-Nutzung durch Cyber-Kriminelle um mehr als 100 Prozent“. 

Dies setzt die Betreiber, die mittlerweile offiziell in Dubai sitzen, unter Druck. Kann man bei einer technischen Offenlegung zwischen Kriminellen und Oppositionellen unterscheiden? Wie die Diebe und Terroristen dingfest machen, aber gleichzeitig Whistleblower und zensurbedrohte Personen schützen? Bisher hieß die Leitlinie: Keine Kooperation mit Sicherheitsbehörden, Gruppenchats gelten zudem als Privatsache. Doch schon seit längerem betonen deutsche Medien und Behörden nur zu gern, daß der Messenger auch bei Radikalen und Verbrechern sehr beliebt sei. Bereits im November vergangenen Jahres untersuchte ein Team der Uni Greifswald im Auftrag der Landesanstalt für Medi-en NRW 913 Telegram-Gruppen und -Kanäle und prangerte illegale Waffenkäufe, Datenhandel, Pornographie und – natürlich – Rechtsextremismus an. 

Weil Telegram seitdem auch in Deutschland immer beliebter wird, werden die Rufe nach einer stärkeren Regulierung lauter. „Das Problem hier bei uns: Telegram fällt nur bedingt unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)“, schreibt beispielsweise Jörg Schieb im WDR-Blog „Digitalistan“. „Telegram ist halt nicht wirklich ‘öffentlich’. Eine Lücke, die eine neue Bundesregierung unbedingt nachbessern muß.“ Angesichts vermeintlicher Unterstützungsbekundungen bei Telegram für den Tankstellenschützen in Idar-Oberstein forderte der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, „daß diese Dienste in den Geltungsbereich des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes einbezogen werden“. 

Auch Grünen-Politiker Konstantin von Notz unterstützt diese Forderung. Damit könnten jedoch auch andere Messenger wie Whatsapp, Threema oder Signal ins Visier einer erneuten NetzDG-Erweiterung geraten. Andere sehen Telegram mit seinen Funktionen – die Abonnentenzahl für Kanäle ist zum Beispiel unbegrenzt – ohnehin eher als soziales Netzwerk wie Facebook und verlangen eine Neubewertung. Das Bundesamt für Justiz hat bereits ein Bußgeldverfahren eingeleitet, weil Telegram keinen Bevollmächtigten in Deutschland führe und Meldemöglichkeiten für potentiell strafbare Inhalte nicht leicht genug zu erreichen seien.